Legal Update #37:Unzulässige AGB‑Klauseln und dispositives Recht – EuGH setzt Grenzen

1. Einleitung

Bereits in der Vergangenheit hat sich der EuGH mit den Folgen unwirksamer AGB Klauseln auseinandergesetzt. Wer mag es ihm verdenken, sind Allgemeine Geschäftsbedingungen (“AGB”) doch aus dem täglichen Geschäftsverkehr nicht wegzudenken. Ob Bank, Versicherer oder Online Händler: So gut wie jeder Unternehmer, der Waren oder Dienstleistungen an einen breiten Personenkreis anbietet, nutzt AGB zur Regelung seiner vertraglichen Beziehungen. Dass AGB dabei im B2C-Bereich zugunsten des Unternehmers ausgestaltet sind, ist verständlich. Grenze der Gestaltungsfreiheit bildet jedoch das Gesetz. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in AGB enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Daneben bestehen im Konsumentenschutzgesetz weitere Bestimmungen, die die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des AGB Verwenders einschränken.

Wird eine AGB Klausel im gerichtlichen Weg für nichtig erklärt, hätte man bis vor ein paar Jahren zur “Vervollständigung” des nun lückenhaften Vertrages auf gesetzliche Regelungen zurückgegriffen. Der Rückgriff auf dispositives Recht, also durch die Vertragsparteien abdingbares Gesetzesrecht, ist ein zentraler Grundsatz sowohl der österreichischen als auch zahlreicher anderer europäischer Rechtsordnungen. Diesem Grundsatz hat der EuGH jedoch (erneut) einen Strich durch die Rechnung gemacht.

2. EuGH: Nichtige Schadenersatzklausel verhindert Berufung auf gesetzliche Bestimmungen

Ausgangspunkt des Urteils des EuGH in der Rechtssachte Gupfinger (i) war ein österreichischer Streitfall, dem – im Gegensatz zu bisherigen Entscheidungen zu diesem Thema – ein “alltäglicher” Sachverhalt zugrunde lag. Nachdem der Käufer einer Küche das Haus, für das er eben jene gekauft hat, nicht erwerben konnte, trat er (unberechtigt) vom Kaufvertrag zurück. Dem Einrichtungshaus als Verkäuferin entstand durch den Vertragsrücktritt ein Schaden, den sie im Rechtsweg einforderte.

Die Krux an der Sache war, dass die AGB der Verkäuferin eine Schadenersatzklausel enthielten, die ihr wahlweise einen pauschalierten Schadenersatzanspruch iHv 20 % des Bruttorechnungsbetrags oder den tatsächlich entstandenen Schaden zubilligte. Während letztgenannter Teil dem gesetzlichen Schadenersatzrecht entspricht, ist die Pauschalierung unzulässig (ii). Die Verkäuferin begehrte den ihr tatsächlich entstandenen Schaden und stützte ihren Anspruch nicht etwa auf die relevante AGB Klausel, sondern auf die dispositiven nationalen Vorschriften. Infolgedessen legte der OGH dem EuGH ua die Frage vor, ob eine Berufung auf dispositives Recht zulässig ist, wenn in den AGB eine gröblich benachteiligende Klausel enthalten ist, die dem Unternehmer neben den Vorschriften des dispositiven nationalen Rechts wahlweise einen pauschalierten Schadenersatzanspruch zubilligt.

Diese Frage entschied der EuGH dahingehend, dass sich der Verwender von AGB nicht auf das Schadenersatzrecht berufen kann, wenn eine Schadenersatzklausel nichtig ist. Auch einer Teilbarkeit der Klausel schob der EuGH einen Riegel vor, weshalb die AGB Klausel in ihrer Gesamtheit für nichtig erklärt wurde und damit auch jener Teil, der eigentlich nur das dispositive Recht wiedergibt. Folglich kann die Verkäuferin trotz rechtswidriger und schuldhafter Verursachung des Schadens keinen Schadenersatz vom Käufer verlangen.

3. Ausblick

Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache Gupfinger hat der EuGH seine Rechtsprechungslinie fortgeführt. Bereits in der Vergangenheit verneinte er die Berufung auf dispositives Recht, wenn eine gröblich benachteiligende Klausel wegfällt. (iii) Eine Berufung auf dispositives Recht ist auf Situationen beschränkt, in denen die Nichtigerklärung einer gröblich benachteiligenden Klausel zur Unwirksamkeit des Vertrags führen würde, die für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, so dass dieser dadurch geschädigt würde. (iv)

Die Auswirkungen dieser Rechtsprechung sind nicht zu unterschätzen, stellt das dispositive Recht doch – wie bereits erwähnt – einen zentralen Grundsatz der österreichischen Rechtsordnung dar. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass dispositives Recht abbildet, wie sich der (nationale) Gesetzgeber eine interessensgerechte Vereinbarung vorstellt, besteht einiges an Sprengkraft.

Unklar ist, ob die Aussagen des EuGH verallgemeinerungsfähig sind. Die zu diesem Thema ergangenen Streitfälle waren nämlich stets dadurch gekennzeichnet, dass das dispositive Recht den Verbraucher schlechter gestellt hätte als die Anwendung der gröblich benachteiligenden Klausel. Die Formulierungen des EuGH deuten jedoch darauf hin, dass kein Spielraum für die Anwendung dispositiven Rechts besteht. (v)

Der Fall Gupfinger macht deutlich, dass Händler bei der AGB Erstellung gut darin beraten sind, einen hohen Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Bereits bestehende AGB sollten einem regelmäßigen Screening unterzogen werden. Ohne gröblich benachteiligende Schadenersatzklausel in ihren AGB hätte die Verkäuferin ihren tatsächlichen Schaden wohl ersetzt bekommen. Stattdessen bleibt sie – so ungerecht dies im konkreten Fall auch sein mag – auf ihrem Schaden sitzen.

(i) EuGH 8.12.2022, C-625/21, Gupfinger.
(ii) Siehe zur gröblichen Benachteiligung einer solchen Klausel bereits OGH 26.1.2017, 3 Ob 237/16y.
(iii) EuGH 27.1.2021, C-229/19 und C-289/19, Dexia Nederland.
(iv) EuGH 8.9.2022, C-80/21 bis C-82/21, D.B.P. ua.
(v) Vgl Perner, Gupfinger: Ein Möbelhaus schreibt Rechtsgeschichte (?), ZFR 2022, 573.

STADLER VÖLKEL Rechtsanwälte bietet qualifizierte Beratung in ausgewählten Schwerpunktbereichen, wie z.B. Wirtschafts- & Bankenrecht sowie Kryptowährungen. Mehr Infos finden Sie unter: www.sv.law

Leave a Reply