Dr. Günter Stummvoll, Sprecher der Initiative Standort – Plattform für Leistung & Eigentum, war u.a. 30 Jahre lang Mitglied des Nationalrates, Generalsekretär der WKO sowie von 1988 bis 1991 Finanzstaatssekretär. Im Interview mit retail.at sprach er u.a. über die wirtschaftlichen Folgen der Teuerungskrise, über den Personalmangel und wie Herausforderungen in Chancen umgewandelt werden können.

Welche großen Herausforderungen sehen Sie aktuell für die österreichische Wirtschaft?
Die größten Herausforderungen sind derzeit der zum Teil schon dramatische Facharbeiter- und Arbeitskräftemangel, der eine Wachstumsbremse und zum Teil schon eine Gefahr für die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftssandortes darstellt. Vor allem zeichnet sich hier im Hinblick auf die demografische Entwicklung in nächster Zeit keine Entspannung ab. An zweiter Stelle kommen meines Erachtens die Energiepreise und die Inflation, wobei hier für die zweite Jahreshälfte und für 2024 ein Rückgang prognostiziert ist. An dritter Stelle sehe ich die Herausforderungen durch die Notwendigkeit der ökologischen und digitalen Transformation und letztlich auch den Eigenkapitalmangel der Wirtschaft.
Sie haben die Teuerung und damit einhergehend die Energiekrise angesprochen. Werden uns diese Probleme noch länger begleiten? Und wie bekommen wir das wieder bzw. besser in den Griff?
Beides sowohl die Teuerung als auch die Energiekrise werden nicht auf Knopfdruck vorbei sein. Was Inflation betrifft, sagt die Prognose der EU-Kommission für heuer einen VPI von 6,6% und für 2024 von 3,6% voraus, unser WIFO sagt 6,5% bzw. 3,2%.
Zur Energie: an der Spitze steht zweifellos Energiesparen. Es ist dies immer noch das größte Potenzial. Professionelle Energieberater können hier den Betrieben helfen. Wir müssen außerdem von fossiler Energie wegkommen und die Abhängigkeit von russischem Gas verringern. Photovoltaik, Wärmepumpen, Windenergie und noch ausbaufähige Wasserkraftreserven sind hier die Alternative. Die Regierung hat hiezu eine Klima- und Transformationsoffensive beschlossen, um Investitionen anzukurbeln. Bis 2030 stehen 1,5 Milliarden zur Verfügung. Die Förderungsrichtlinien werden derzeit erarbeitet.
Bei allen großen Herausforderungen ist aber Optimismus angesagt. Auch 2022 sind alle vorausgesagten Horrorszenarien nicht eingetreten, das Wirtschaftswachstum betrug sogar 5% real. Das liegt zweifellos nicht nur an den Hilfestellungen der Regierung mit gewaltigen Förderungsprogrammen sondern auch an der Innovationskraft unserer Betriebe.
Bundesminister Kocher hat vor kurzem eine Diskussion über Teilzeit versus Vollzeit angestoßen. Der Handelsverband fordert seit langem eine Attraktivierung der Vollzeitarbeit. Was halten Sie davon?
Es ist Bundesminister Kocher sehr zu danken, dass er diese Diskussion angestoßen hat. In der jetzigen Zeit des Arbeitskräftemangels ist die Vollzeitarbeit attraktiver zu gestalten. Die Agenda Austria hat erst jüngst ein Beispiel genannt: Wer die Arbeitszeit von 20 auf 30 Wochenstunden aufstockt, arbeitet um 50 % mehr und verdient auch brutto 50% mehr. Netto bleibt aber nur ein Plus von 36%, denn die Sozialversicherungsbeiträge und die Lohnsteuer steigen stärker als das Bruttoeinkommen. Hier sind steuerliche Anpassungen im Tarif dringend erforderlich, kurzfristig könnte bei Umstieg von Teilzeit auf Vollarbeitszeit zum Beispiel 20 Überstunden steuerfrei gestellt werden.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die „Pensionsfalle“. Wenn wer statt von 40 Stunden nur zum Beispiel von 20 Stunden Pensionsbeiträge zahlt, ist seine Pension einmal nur halb so hoch und Altersarmut ist vorprogrammiert.
Stichwort Personalmangel: Allein im Handel können trotz hoher KV-Abschlüsse aktuell rund 35 Tausend Stellen nicht besetzt werden. Wo sollte angesetzt werden?
Es muss vor allem das Beschäftigungspotenzial, das wir bei Frauen und älteren Personen haben, gehoben werden. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch mehr Kinderbetreuungsplätze würde viele Frauen in den Arbeitsprozess bringen. Steuerliche Anreize für längeres Arbeiten bis zum Pensionsantritt bzw. Arbeiten zumindest tageweise auch noch in der Pension würde das Arbeitspotenzial der Älteren heben. Ein Ausschöpfen des heimischen Arbeitskräftepotenzials wird aber angesichts des demografischen Wandels nicht ausreichen. Es bedarf viel mehr auch einer qualifizierten, gezielten Zuwanderung. Wer nach Österreich kommt sollten nicht Schlepper entscheiden, sondern die Anforderungsprofile der Betriebe. Es geht einfach darum, wie dies unlängst WIFO-Chef Felbermayr treffend formuliert hat: Die „richtigen“ Leute ins Land zu holen. Das bedarf besonderer Anstrengungen, denn es gibt heute schon einen globalen Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte.
Ein Wort noch zur heute so oft strapazierten Work-Life-Balance. Ich kann das schon nicht mehr hören, denn es signalisiert, dass Work negativ und dass Life positiv ist. In Wirklichkeit stellt aber Arbeit ein wesentliches Lebenselement des Menschen dar.
Zur qualifizierten Zuwanderung sind unter der Federführung des Arbeitsministeriums die Austrian Business Agency (ABA), die Außenwirtschaftsorganisation der Wirtschaftskammer und das AMS gefordert.
Sie kennen die österreichische Politik wie kaum ein anderer. Was kann bzw. sollte die Bundesregierung in der aktuellen Legislaturperiode noch umsetzen?
Dringend notwendig wäre die schon lange geforderte Eigenkapitalstärkung der Betriebe durch steuerliche Gleichstellung von Eigenkapital mit Fremdkapital. Es bedeutet eine Schwächung des Wirtschaftsstandortes, dass bei uns Fremdkapitalzinsen steuerlich abzugsfähig sind, fiktive Eigenkapitalzinsen aber nicht. Eine in hohem Ausmaß kreditfinanzierte Wirtschaft ist immer krisenanfälliger als eine mit Eigenkapital finanzierte.
Um unabhängig von russischem Gas zu werden (siehe oben) ist eine nachhaltige Lösung nur auf EU-Ebene möglich. Die Regierung muss daher weiter auf EU-Ebene darauf drängen. Insbesondere auf eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreis sowie auf einen gemeinsamen Gaseinkauf. Um erneuerbare Energie zu fördern sind die langen bürokratischen Umweltverträglichkeitsprüfungen zu beschleunigen. Mit der jüngsten UVP-Novelle ist hier ein wichtiger Schritt erfolgt, nun muss auch im AVG nachgezogen werden.
Im Jusitzbereich braucht es bessere Beschuldigtenrechte: kürzere Verfahren, höherer Kostenersatz bei Verfahrenseinstellung bzw. bei Freispruch.
Jede Krise ist bekanntlich auch eine Chance. Was muss im nächsten Regierungsprogramm enthalten sein, damit wir die gegenwärtigen multiplen Krisen in Chancen für unsere Volkswirtschaft umwandeln können?
Die multiplen Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft in hohem Maße von der Kapitalstärke der Betriebe abhängt. Daher ist die schon erwähnte Eigenkapitalstärkung, sollte sie in dieser Legislaturperiode nicht mehr gelingen, mit absoluter Priorität in das nächste Regierungsprogramm aufzunehmen. Dazu braucht es auch steuerliche Entlastungen in Kombination mit einer Effizienzsteigerung des mit Steuern finanzierten öffentlichen Sektors. Auch ein weiterer großer Schritt des Bürokratieabbaus ist unbedingt notwendig.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Welche Ziele verfolgen Sie privat für das heurige Jahr?
Ich muss zunächst vorausschicken, dass bei mir die Grenzen zwischen beruflichen und privaten Zielen fließend sind. Ich verwende dazu gerne eine Definition des großen Modeschöpfers Karl Lagerfeld, der als über 80-Jähriger noch große Modeschauen organisiert hat und das als „berufsbezogene Freizeitgestaltung“ bezeichnet hat. Dazu kommt, dass ich mich auch an die alte Volksweisheit halte „wer rastet, der rostet“. Ich war mein ganzes Berufsleben – ob in der Industriellenvereinigung, der Wirtschaftskammer, im Finanzministerium oder im Parlament – Interessensvertreter der Wirtschaft und bin das auch in meiner Freizeit ehrenamtlich als Sprecher der Initiative Standort. Dies auch deshalb, weil ich fest überzeigt bin, dass Österreich als kleines Land im Herzen Europas mit einem hervorragenden Humankapital alle Chancen dieser Welt hat, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gemeinsam mit dem Team der Initiative Standort einen kleinen Beitrag zu leisten ist für mich eine hervorragende Motivation.
Herzlichen Dank für das Gespräch!