Corinna Häsele, Psychologin und Unternehmerin, möchte mit folgender Geschichte auf den richtigen Umgang mit Stress aufmerksam machen. In Zeiten von Arbeitskräftemangel ist es nicht selten, dass Angestellte stressige Mehrarbeit verrichten müssen.
Andi (28 Jahre) ist sehr ehrgeizig und hat es bereits zum stellvertretenden Marktleiter eines mittelgroßen Lebensmittelmarktes gebracht. Überall springt Andi ein, wenn Not am Mann ist, egal ob bei der Kassa, Warenübernahme, Einschlichten oder wenn eine Hauszustellung zu machen ist. Er ist körperlich fit und gerne aktiv in allen Bereichen eingebunden. Besonders der Kontakt zu seinen KundInnen ist ihm wichtig, für seine MitarbeiterInnen will Andi ein gutes Vorbild sein.
Trotzdem, die Arbeitsbelastung nimmt stetig zu, besonders auf der psychischen Ebene nimmt Andi bei sich eine Veränderung wahr. Viele Gedanken kreisen darum, wie die Arbeit auf die bestehende Mannschaft aufgeteilt werden kann, besonders dann, wenn auch noch Krankenstände und Urlaube zu berücksichtigen sind. Jede ungeplante Abwesenheit macht es notwendig, sein ohnedies bereits effizient arbeitendes Team weiter zu fordern. Dabei leisten er und sein Team bereits deutlich mehr, denn 2 ausgeschriebene Stellen und eine Lehrlingsposition sind unbesetzt.
Der permanente Personalengpass geht auch an Andi nicht spurlos vorüber, langsam sind die Grenzen der Belastbarkeit nicht mehr zu verbergen, auch sein Team macht ihm Vorwürfe nicht genug gegen die prekäre Situation zu tun. Erst vergangene Woche war das Arbeitsklima wieder im Keller, weil MitarbeiterInnen ihren Frust auch vor KundInnen nicht mehr verbergen konnten.
Wo stehen Sie in Ihrer Work-Health Reise? (Skala 0 – 10)
Andi verortet sich und sein Team zwischen 6 und 7, der hohe Wert deutet auf ein ernstes gesundheitliches Risiko durch die permanente Stressbelastung hin. Die hohe Arbeitsbelastung kann so auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. Das belastete Arbeitsklima, die permanente Mehrleistung die zu aufgestautem Frust führt und die Vorwürfe, sind ein Alarmsignal. Andi entscheidet sich dafür, das Problem nicht allein lösen zu wollen, sondern sein Team und externe Beratung mit einzubinden. Als verantwortungsvolle Führungskraft sieht er sich in der Rolle des Gestalters.

Was ist jetzt wichtig?
„Permanent zu viel Arbeit in der vorliegenden Zeit „im Arbeitsplan“ zu haben, erzeugt Hilflosigkeit“, meint Corinna Häsele. Die Berge an Arbeit drohen, uns sprichwörtlich, zu ersticken oder unter sich zu begraben.
Die Wahrnehmung ist auf die permanente Arbeitsüberlastung gerichtet, die allein durch Andi nicht zu verändern ist. Das zeigt sich im Arbeitsklima, das aus Andis Perspektive am Tiefpunkt ist. Er und alle MitarbeiterInnen kommen so täglich mit vollem Rucksack in den Supermarkt, um wieder und wieder den hohen Berg zu bezwingen. Dieses Bild, die Wahrnehmung des hohen Berges zu verändern ist nicht einfach, denn unser Gehirn ist bestrebt, möglichst seine bestehenden, bekannten Bahnen zu bedienen und an einer Wahrnehmung festzuhalten, auch dann, wenn sie unangenehme Konsequenzen hat.
Um diese Spirale aufzubrechen, nehmen alle im Team Meeting die Perspektive der Kund:innen ein – aus dem Bild des Supermarktes als unbezwingbarer Berg wird ein Ort der Begegnung und Freude. Dieser Perspektivenwechsel hilft, statt nur die unangenehmen Auswirkungen von Stress wahrzunehmen, eine positive Sicht auf die Chancen zu lenken. Dadurch schafften es Andi und sein Team unangenehme Gefühle zu reduzieren und mehr Verständnis für die Entscheidungen des anderen zu entwickeln. Das positive Mindset verstärkt die Chance, dass negative Gefühle von positiven begleitet werden.
Die Konsequenzen:
Der objektive Blick auf das existierende Wertesystem im Team, wie z.B. Gerechtigkeit, Wertschätzung und Würdigung von Arbeitsleistung, -einteilung und Führung erlebt werden, bringt das Team enger zusammen und sorgt für mehr Handlungsspielräume, Sicherheit und Empowerment.

Über die Autorin:
Corinna Häsele ist Psychologin und Unternehmerin (Stressbewältigungs-Plattform Better linked) und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Medien-, Event- und Veranstaltungsbusiness. Seit 15 Jahren beschäftigt sie sich mit EMDR, „wingwave®“, Organisations- und Führungsthemen mit laufender Weiterbildung.