Wir befinden uns in der schwersten Energiekrise seit mindesten 45 Jahren. Die wirklichen Krisen stehen uns jedoch erst bevor. Denn die derzeitigen Entwicklungen lassen einen Katastrophenwinter 2022/23 mit zumindest weitreichenden Gas- und Stromlieferunterbrechungen erwarten. Im schlimmsten Fall droht sogar ein europaweiter Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall („Blackout“). Alle Ereignisse würden auch einzeln zu schwerwiegenden Lieferkettenunterbrechungen und Versorgungsengpässen führen. Umso wichtiger ist nun eine entsprechende Vorbereitung, um Schlimmeres zu verhindern. Die Hoffnung, dass es schon nicht so weit kommen wird, ist allein zu wenig. Ein Gastbeitrag von Herbert Saurugg.
Während das Szenario Blackout (1) oder in Fachkreisen auch eine Strommangellage bereits länger thematisiert werden, war eine schwere Gaskrise bisher kaum vorstellbar, auch wenn dieses Szenario bereits 2018 im Rahmen der länderübergreifenden Übung (LÜKEX 2018) „Gasmangellage in Süddeutschland” beübt wurde. Die Erkenntnisse waren erschütternd: Die vielschichtigen wechselseitigen Abhängigkeiten sind kaum bekannt. Eine solche Gaskrise könnte verheerende Lieferkettenunterbrechungen und ein Versorgungschaos auslösen. (2)
Möglicher Katastrophenwinter 2022/23
Gleichzeitig hat sich in den vergangenen Monaten die Lage im europäischen Stromnetz massiv zugespitzt: Die Strompreise gehen nicht nur aufgrund der horrenden Gaspreise durch die Decke. Es fehlen auch in vielen Ländern Produktionskapazitäten. Etwa in Frankreich, wo derzeit rund die Hälfte der Atomkraftwerke vom Netz sind und wo noch niemand weiß, ob diese bis zum kommenden Winter wieder verfügbar sein werden. Frankreich war bisher der Hauptstromexporteur und ist nun bereits im Sommer zum Importeur geworden. Die extreme Trockenheit hat dazu geführt, dass in vielen Ländern die Stromproduktion reduziert werden musste. Nicht nur bei Wasserkraftwerken, sondern auch bei zu kühlenden thermischen Kraftwerken. Die geplante kurzfristige Reaktivierung der deutschen Kohlekraftwerke als Ersatz für die Gaskraftwerke scheitert nicht nur am fehlenden Personal, sondern auch an der Kohle, die erst beschafft werden muss und durch Niedrigwasser nicht mehr über den Rhein zu den Kraftwerken transportiert werden kann. Die leicht formulierte Gasbedarfsreduktion von 15 % lässt sich technisch häufig nicht einfach umsetzen, weil es bisher dafür keine Vorbereitungen gab. Bei vielen Prozessen ist das überhaupt nicht möglich. Eine zwangsweise Durchsetzung in Form einer Gasmangelbewirtschaftung wird nur über großflächige Stromabschaltungen durchführbar sein. Ansonsten drohen massive Infrastrukturschäden. Fällt der Gasdruck unter ein gewisses Niveau, werden Sicherheitsventile aktiviert, die dann alle manuell wieder in Betrieb genommen werden müssten. Bis dahin wären aber längst Gaskraftwerke oder die industrielle Produktion zusammengebrochen, da hier wesentlich mehr Druck benötigt wird. Daher sollten wir uns auf einen sehr harten Winter vorbereiten, auch wenn noch eine Restmöglichkeit besteht, dass es doch nicht so schlimm kommt. (3) Bisher wurde jedoch fast nur auf das Prinzip „Hoffnung“ gesetzt und wertvolle Zeit für Vorbereitungen vergeudet. Denn es geht nicht darum, ob es wirklich so weit kommt, sondern dass wir kaum in der Lage wären, mit solchen Ereignissen umzugehen, womit schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen drohen.
Was kann getan werden?
Wir sollten davon ausgehen, dass die bisherige Verhinderungspolitik nicht ausreichen und es im kommenden Winter zu schweren Versorgungsproblemen kommen wird. Es geht daher um die Herstellung der Handlungsfähigkeit, ohne dass wir konkret wissen, in welcher Form wir diese benötigen werden. Die zentrale Basis dafür ist die Eigenversorgungsfähigkeit der Bevölkerung, welche sich gemäß jüngsten Umfragen nicht wirklich verbessert hat. Ein Großteil der Bevölkerung ist nach wie vor nicht auf schwerwiegende Versorgungsunterbrechungen und -einschränkungen vorbereitet. Rund ein Drittel der Bevölkerung und damit auch der eigenen Mitarbeiter:innen hat spätestens nach vier Tagen nichts mehr zu Essen. Ein weiteres Drittel spätestens nach einer Woche. (4) Das bedeutet, dass sich nach einem Blackout am Ende der ersten Woche rund 6 Millionen Österreicher:innen im gefühlten Überlebenskampf befinden: Sie haben nichts mehr zu essen und sie sehen, dass die Supermärkte leer oder möglicherweise sogar zerstört sind, was eine Krisenbewältigung sehr schwierig machen wird.
Phasen eines Blackouts
Hinzu kommt, dass viele Auseinandersetzungen mit dem Szenario Blackouts nach wie vor bei der Phase 1 des Stromausfalls enden, was deutlich zu kurz greift: Denn während die österreichische Stromversorgung binnen ein bis zwei Tagen wieder funktionieren sollte, wird das in anderen Ländern deutlich länger dauern. Auch nach dem Stromausfall wird es zumindest noch mehrere Tage dauern, bis wieder überall die Telekommunikationsversorgung (Handy, Festnetz, Internet) funktionieren wird (Phase 2). Bis dahin funktionieren weder eine Produktion noch Logistik noch eine Treibstoffversorgung. Daher werden viele Prozesse frühestens in der zweiten Woche wieder anlaufen können und erst dann können auch wieder Warenlieferungen aufgenommen werden. Zusätzliche internationale Abhängigkeiten (Rohstoffe, Produktteile, Verpackungsmaterialien etc.) werden den Wiederanlauf nochmals verzögern. Auch bei „nur“ einer zu erwartenden Gas- und Strommangellage ist mit massiven Produktions- und Verteilungsproblemen zu rechnen, was früher oder später auch das kommunale Krisenmanagement fordern wird.

Lebensmittelnotversorgung
Daher ist es ganz entscheidend, dass wir möglichst rasch eine (Lebensmittel)notproduktion und Verteilung vorbereiten. Das beginnt bei den eigenen Mitarbeiter:innen: Denn wenn diese nicht selbst ausreichend vorgesorgt haben, bleiben diese nicht in der Arbeit, weil sie sich etwa um ihre Kinder kümmern müssen, und kommen dann auch nicht wieder in die Arbeit, wenn sie sich zu Hause in einer Krise befinden. Damit wird eine Krisenbewältigung immer schwieriger.
Daher sollte der erste Schritt bei der Mitarbeitersensibilisierung und Eigenvorsorge beginnen. Parallel dazu ist dafür zu sorgen, dass an allen Standorten Offline-Pläne entwickelt und verfügbar gemacht werden, mit denen die Mitarbeiter ohne große Koordination angeleitet werden, was zu tun ist, wenn nichts mehr wie gewohnt funktioniert. Während der Phase 1 und 2 des Blackouts kommt alles zum Stillstand. Erst danach (Phase 3) wird ein Wiederanlauf möglich sein, also wenn die Mitarbeiter wieder kontaktiert und in die Arbeit geholt werden können. Wichtig ist dabei, bereits im Vorfeld möglichst viel Verantwortung und Entscheidungsbefugnis zu delegieren und dezentral zu verankern. Eine zentrale Steuerung wird in einem solchen Fall nicht möglich sein.
Besonders wichtig ist auch ein geordnetes und vorbereitetes Herunterfahren. Eine Notabgabe und Notversorgung werden nur in Zusammenarbeit mit kommunalen Kräften funktionieren, da das eigene Personal das allein kaum schaffen wird. So müssen etwa Tumulte verhindert werden, um die Zerstörung von Verkaufseinrichtungen zu verhindern. Ein geordneter Ablauf wird jedoch nur gelingen, wenn durch den Handel bereits im Vorfeld kommuniziert wird, wie der Ablauf geplant ist: Ab welchem Zeitpunkt, Rationierung etc. Damit können sich die Menschen bereits jetzt darauf einstellen und hoffentlich eine bessere Eigenvorsorge treffen. Ein Wording wie, dass eine Versorgung aufrechterhalten werden kann, ist falsch und führt zu nicht erfüllbaren Erwartungen. Damit steigt das Eskalationspotenzial.
Die über den gesamten Handel abgestimmten Vorbereitungen sind auch deshalb wichtig, um eine Notabgabe der verderblichen Waren binnen weniger Stunden nach Ereigniseintritt sicherstellen zu können. Diese müssten sonst entsorgt werden, was nur in Ausnahmefällen funktionieren wird. Darüber hinaus würden für die Krisenbewältigung wichtigen Ressourcen verloren gehen.
Hier sind eine enge Zusammenarbeit und gemeinsame Vorbereitung mit der Gemeinde des jeweiligen Standortes unverzichtbar. Supermärkte benötigen Hilfskräfte, die bei der geordneten Abgabe unterstützen. Diese müssen rasch vor Ort aufgebracht werden können. Auch die „Bewachung“ der Supermärkte mit den Restwaren wird nur mit Unterstützung aus der Bevölkerung und den Strukturen in der Gemeinde gelingen. Alles andere sind unrealistische Wunschvorstellungen („Das Bundesheer wird schon kommen.“). Auch die geordnete Abgabe und Rationierung der Restwaren bzw. beim Wiederanlauf muss vorbereitet werden und wird von Region zu Region unterschiedlich ablaufen müssen. Möglicherweise werden bereits während der Phase 2 Ressourcen für nicht versorgte Touristen oder gestrandete Pendler benötigt. Städte werden ganz anders als ländliche Gemeinden gefordert sein und nicht überall wird diese Vorgangsweise funktionieren. Wir müssen es trotzdem versuchen und jetzt die notwendigen Vorbereitungen treffen. Denn in der Krise wird das mit nur mehr sehr eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten kaum mehr gelingen. Gemeinden, Handelsgeschäfte, Landwirte etc. müssen daher jetzt aufeinander zugehen und gemeinsam entsprechende Vorbereitungen treffen.
Mach mit! Österreich wird krisenfit!

Wir können weiter zuwarten und hoffen, oder selbst die Dinge in die Hand nehmen und uns auf das Undenkbare vorbereiten. Denn der erste und wichtigste Schritt beginnt mit der Akzeptanz der Möglichkeit solcher Ereignisse. Dann wird man nicht mehr völlig überrascht. Dazu muss die Sicherheitskommunikation deutlich ausgeweitet werden. Eine weitere Verharmlosung der potenziellen Gefahren ist fahrlässig und eine Gemeingefährdung.
Die zivilgesellschaftliche Initiative “Mach mit! Österreich wird krisenfit!” (www.krisenfit.jetzt) möchte diese Kommunikation unterstützen und setzt auf breite Aktivitäten. Nicht warten, bis schon irgendjemand etwas machen wird, sondern selbst Verantwortung übernehmen: als Bürger:in, als Unternehmen oder Kommune. Werden Sie Teil dieser Initiative und starten Sie jetzt mit klaren Zeichen: Etwa, in dem die Beleuchtung von Unternehmenseinrichtungen reduziert werden, um den Menschen den Ernst der Lage zu vermitteln. Nutzen Sie Ihre Kommunikationskanäle, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Verwenden Sie dabei auch das Logo der Initiative (5), um den Wiedererkennungswert zu erhöhen, etwa auch für konkrete Vorsorgeangebote (Nudel, Reis, Konserven etc.) Die meisten Menschen schätzen eine ehrliche und aufklärende Information, auch wenn die Botschaft wenig erfreulich ist.

Über den Autor:
Herbert Saurugg, MSc, internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (www.gfkv.at) sowie Autor zahlreicher Fachpublikationen. Der ehemalige Berufsoffizier beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der steigenden gesellschaftlichen Verwundbarkeit sowie mit der Frage, wie wir diese wieder reduzieren können. Er betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net und unterstützt Gemeinden, Unternehmen und Organisationen bei einer ganzheitlichen Blackout-Vorsorge.
(1) Vgl. https://www.saurugg.net/blackout. Zuletzt abgerufen: 16.08.22
(2) Vgl. LÜKEX 18: Gasmangellage in Süddeutschland – eine kritische Betrachtung. https://www.saurugg.net/2018/blog/vernetzung-und-komplexitaet/luekex-18. Zuletzt abgerufen: 16.08.22
(3) Vgl. Katastrophenwinter 2022/23 – Fiktion oder bald Wirklichkeit? https://www.saurugg.net/katastrophenwinter22. Zuletzt abgerufen: 16.08.22
(4) Vgl. Studie „Ernährungsvorsorge in Österreich“. https://www.saurugg.net/eva. Zuletzt abgerufen: 16.08.22
(5) Dieses steht unter https://www.krisenfit.jetzt/logo kostenfrei zur Verfügung.