Wie Ernährungsunsicherheiten vermeidbar sind

Sowohl die Ukraine als auch Russland sind am globalen Markt für Feldfrüchte wie Sonnenblumenkerne, Mais und Weizen wichtige Player. Aufgrund des Konfliktes sind Lieferschwierigkeiten und erhöhte Lebensmittelpreise auch tausende Kilometer entfernt noch zu spüren. Diese Situation wird durch einseitige Exportbeschränkungen verschärft.

Die Ukraine ist der weltweit größte Exporteur von Sonnenblumenkernen, viertgrößter Exporteuer von Mais und fünftgrößter Lieferant von Weizen. Der Krieg hat zu einer Unterbrechung der Versorgung auf den Weltmärkten geführt und befeuert u.a. die Lebensmittelpreise, welche sich im Juli im Vorjahresvergleich um mehr als 10 Prozent verteuert haben.

Zunehmend handelspolitische Eingriffe in Lebensmittelmärkten

Regierungen sind generell bemüht, die Inlandsmärkte vor Preissprüngen zu schützen. Daher haben die steigenden Lebensmittelpreise zu unterschiedlichen politischen Reaktionen geführt. Während einige Lebensmittel-importierende Länder Einfuhrbeschränkungen senkten, drosselten Lebensmittel-produzierende Länder den Export.

Die Herausforderungen begannen schon während der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie. Viele Länder nutzen seither aktiv handelspolitische Maßnahmen, um den inländischen Bedarf an Lebensmitteln selbstständig abdecken zu können. Da sich die Lage zunächst stabilisiert hatte, flachten die Maßnahmen, welche aus Angst vor Knappheit eingeführt wurden, während des Jahres 2021 wieder ab. Der Krieg in der Ukraine hat die Situation wiederum radikal verändert. Zwischen dem Beginn des Konflikts am 23. Februar und dem 7. April 2022 wurden insgesamt 67 neue Handelsrichtlinien (87 einschließlich Subventionen) verhängt oder angekündigt. Dieser Anstieg wurde angeführt von neuen Ausfuhrverboten und Ausfuhrgenehmigungspflichten (38 Maßnahmen), gefolgt von Einfuhrverboten und Einfuhrkontingenten (13 Maßnahmen) und liberalisierenden Einfuhrreformen wie Zollsenkungen (13 Maßnahmen).

Anzahl der aktiven Handelsbeschränkungen für Lebensmittel und Düngemittel zwischen 1. Jänner und 7. April 2022

Besonders in Europa und in Zentralasien haben die Exportkontrollen seit Kriegsbeginn deutlich zugenommen. So hat Russland beispielsweise Exportverbote für Weizen, Mais und andere Getreidearten in Länder außerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion verhängt. Exportkontrollen wurden auch von Lebensmittelimportländern wie Algerien und Ägypten eingeführt. Während Algerien Exportverbote für Konsumgüter wie Zucker, Nudeln, Öl und Grieß anordnete, stellte Ägypten Verbote zum Export für Speiseöl, Mais und Weizen auf.

Regionale Aufschlüsselung der neuen Handelsbeschränkungen für Lebensmittel und Düngemittel, die zwischen dem 23. Februar und dem 7. April 2022 eingeführt wurden

Die politischen Entscheidungsträger haben Maßnahmen ergriffen, um den Druck auf den nationalen Lebensmittelmärkten zu mindern. Seit Kriegsbeginn haben 38 Regierungen auf allen Kontinenten (mit Ausnahme von Nordamerika) Stützungsmaßnahmen zugunsten des Agrarsektors ergriffen.

Der Abbau bestehender Beschränkungen für Lebensmittelimporte zielt auch darauf ab, den Druck auf die Inlandspreise zu verringern. Seit Kriegsbeginn wurden 13 Maßnahmen ergriffen, um Einfuhrbeschränkungen für Lebensmittel und Düngemittel abzubauen oder zu beseitigen. Beispielsweise senkte Kolumbien am 3. März die Einfuhrzölle auf Mais, Samen und Harzöle sowie andere Lebensmittelprodukte auf null.

Eskalierende Handelsmaßnahmen treiben die Lebensmittelpreise in die Höhe

Zunehmende Exportbeschränkungen für Grundnahrungsmittel wie Weizen und Mais sowie für Düngemittel verstärken den Anstieg der Lebensmittelpreise. Der Grund dafür ist, dass diese politischen Eingriffe einen Multiplikatoreffekt erzeugen. Exportbeschränkungen lassen Weltmarktpreise ansteigen. Dies veranlasst die Regierungen zu erneuten Exportbeschränkungen, was wiederum zu einem Anstieg der Preise führt. Während der Lebensmittelkrise 2008-2011 trugen Handelsinterventionen zu einem Anstieg der Weltnahrungsmittelpreise um 13% und bei Weizen um 30% bei.

Internationale Weizenpreise und handelspolitische Maßnahmen zwischen 1. Jänner und 4. April 2022

Die Abfolge politscher Reaktionen in Europa und Zentralasien zeigt, dass dieser Multiplikatoreneffekt bereits eingetreten ist.
Der genannte Preiseffekt kann zu weiteren politischen Maßnahmen führen und fatale Folgen haben. Sollte einer der fünf größten Weizenexporteure Exporte verbieten, würde der kumulative Effekt dieser Maßnahmen den Weltmarktpreis um mindestens 13% erhöhen.

Preisdämpfende Handelspolitiken auf der Importseite und Konsumsubventionen würden die Weltpreiseffekte weiter verstärken. Darüber hinaus greifen die Auswirkungen von Exportbeschränkungen in einem Markt auf andere Märkte über und verstärken Preissprünge. So folgte auf ein Exportverbot von Palmöl durch Indonesien ein Exportverbot von Sonnenblumenöl durch Russland, da dieses Öl als Äquivalent zu Palmöl in der Küche verwendet werden kann.

Weitverbreitete Ernährungsunsicherheit vermeidbar: Vertrauensbildende Maßnahmen sind erforderlich

Während die Folgen des Krieges auf den Lebensmittelmarkt schwer handzuhaben sind, kann ein noch katastrophaleres Szenario vermieden werden. Große Exporteure von Lebensmittelprodukten wie die USA, Kanada, die EU, Australien, Argentinien und Brasilien – die zusammen mehr als 50% der weltweiten Exporte wichtiger Grundnahrungsmittel ausmachen – könnten eine klare gemeinsame Erklärung abgeben, dass sie Exporte nicht beschränken werden. Durch die Sicherung dieser Marktströme könnte die Stabilität der globalen Lebensmittelmärkte bewahrt werden.

Über die Autor:innen
Simon Evenett – Professor of International Trade University of St. Gallen
Alvaro Espitia – Consultant The World Bank Group
Nadia Rocha – Senior Economist, Trade and Regional Integration Unit The World Bank
Michele Ruta – Lead Economist The World Bank
Das gesamte Paper können Sie hier lesen.

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