Alarmstufe BLACKOUT: Was tun, wenn plötzlich all unsere Versorgungskanäle wegbrechen?

Herbert Saurugg ist Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV). Im Interview verrät er, weshalb eine nationale Blackout-Vorsorge-Kampagne gemeinsam mit dem Lebensmittelhandel Sinn macht und wie das sogenannte „Survival Kit“ aussehen könnte. Müssen wir wirklich auf kurz oder lang mit einem europaweiten Blackout rechnen, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit seit Jahren unterschätzt wird?

Das Österreichische Bundesheer warnte bereits Anfang 2020 vor einem Blackout binnen der nächsten fünf Jahre.

“Seit vielen Jahren versuche ich die Gesellschaft wachzurütteln”

HV: Was genau fällt in Ihren Aufgabenbereich?

Saurugg: Ich beschäftige mich seit 10 Jahren mit den Entwicklungen im europäischen Stromversorgungssystem und dem möglichen Szenario eines europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfalls („Blackout“). Die Erkenntnisse sind wenig erfreulich und daher versuche ich seit vielen Jahren, die Gesellschaft wachzurütteln.

Wir sind gewohnt, dass immer alles funktioniert, egal ob Strom, Wasser, Treibstoff, die Lebensmittel- oder Gesundheitsversorgung. Daher verlassen wir uns völlig auf funktionierende Strukturen und haben kaum mehr Puffer, um mit größeren Störungen richtig umzugehen. Das betrifft sowohl die Menschen als auch Unternehmen, Organisationen oder den Staat selbst.

HV: Sprechen wir über die kritische Infrastruktur. Welchen Risiken sieht sich Österreich im Fall eines europaweiten Blackouts gegenüber und welche Gegenmaßnahmen können diesbezüglich getroffen werden?

Saurugg: Zeitnah mit dem Strom fällt die Telekommunikationsversorgung aus und damit Handy, Internet und Festnetz. Damit funktionieren weder ein Geldsystem noch Kassen oder die Treibstoffversorgung, Beleuchtung, Kühlung, Aufzüge, Lager, Tunnel, Bahn. Es kommt zum völligen Stillstand. Die gesamte Logistik bricht zusammen.

Auch nach der Wiederkehr der Stromversorgung wird es vermutlich noch Tage dauern, bis die Telekommunikationsversorgung wieder halbwegs stabil funktioniert. Es sind massive Hardwareschäden und Störungen zu erwarten. Die erwartbare Ersatzteilmenge kann weder organisiert werden, noch wird sie verfügbar sein.

Im besten Fall wird die Logistik wieder in der zweiten Woche breiter anlaufen können. Denn während der Stromausfall in Österreich nach etwa einem Tag behoben sein sollte, kann es in anderen Teilen Europas bis zu einer Woche lang dauern. Klar ist, dass auch viele österreichische Unternehmen zahlreiche internationale Abhängigkeiten haben, die den Wiederanlauf erheblich verzögern werden.

Der wichtigste Schritt beginnt mit der Akzeptanz, dass so etwas überhaupt möglich und sogar sehr realistisch ist. Das Österreichische Bundesheer hat bereits Anfang 2020 vor einem Blackout binnen der nächsten fünf Jahre gewarnt. Leider wurde das bisher kaum ernst genommen.

Eigenvorsorge als Alternative

HV: Was ist das Ziel der nationalen Blackout-Vorsorgekampagne?

Saurugg: Aus Untersuchungen wissen wir, dass ich rund ein Drittel der Bevölkerung oder rund 3 Millionen Menschen maximal 4 Tage selbst versorgen kann. Nach einer Woche betrifft das bereits rund 6 Millionen Menschen, die sich dann in einem subjektiven Überlebenskampf befinden werden. Das betrifft auch das Personal von jenen Organisationen, die einen Notbetrieb aufrechterhalten oder die Systeme wieder hochfahren müssen. Wenn die Familie aber nicht versorgt ist oder in Sicherheit gewähnt wird, werden die Menschen nicht zur Arbeit kommen. Dieser Teufelskreis ist dann kaum mehr zu durchbrechen.

Daher sollte es unser oberstes gesellschaftliches Ziel sein, möglichst viele Menschen zur Eigenvorsorge zu bewegen, damit wir uns einen größeren Puffer schaffen, um auch eine solche Krise bewältigen zu können.

Und auch wenn jemand in die Quarantäne muss, hat er oder sie mit einer entsprechenden Eigenvorsorge gleich einen Sicherheitspuffer. Vorsorge war in der Menschheitsgeschichte immer überlebensnotwendig. Wir haben das durch die sehr hohe Versorgungssicherheit etwas aus den Augen verloren. Und das soll sich wieder ändern.

HV: Wie sehen die Vorkehrungen für einen europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall für die Handelsbranche idealerweise aus? Was können Händler:innen zur Risikoprävention tun und welche Maßnahmen können Konsument:innen treffen?

Saurugg: Der zentrale Punkt ist, dass die Lager dort sein müssen, wo die Güter dann auch im Krisenfall gebraucht werden: zu Hause bei den Menschen. Denn wenn keine Logistik funktioniert, helfen auch keine zentralen Lager. Das kann durch entsprechende Angebote unterstützt werden. Wichtig ist, dass hier möglichst alle mitmachen.

Zum anderen sollte es auf lokaler Ebene entsprechende Absprachen und Vorbereitungen zwischen den Gemeinden und den Filialleitungen geben. Etwa, dass die verderblichen Waren rechtzeitig abgegeben werden, um sie nicht entsorgen zu müssen.

Im Fokus sollte auch der Schutz der Verkaufseinrichtungen stehen, sodass diese nicht zerstört werden, was den Wiederanlauf der lokalen Versorgung erheblich verzögern würde. Es braucht eine enge Abstimmung mit der Gemeindeverwaltung, da die Verkäufer:innen das nicht allein schaffen. Außer, man hat sich entsprechend vorbereitet und ist sich der gesellschaftlichen Tragweite bewusst.

Von Survival Kits und Planspielen für den Fall der Fälle

HV: Wie könnte so ein Versorgungspaket, das sogenannte „Survival Kit“ eines Lebensmittelhändlers für Notfälle aussehen? Wissen Sie bereits, welche Lebensmittelhändler ein solches Kit in ihr Sortiment mitaufnehmen werden?

Saurugg: Es geht vor allem um Nudel, Reis und Konserven, die lange haltbar sind. Das kann durch verschiedene Produkte, wie etwa Dosenbrot oder Haltbarmilch aufgewertet werden. Essenziell sind auch Wasservorräte, sollte die Wasserversorgung eventuell nicht mehr funktionieren. Hier rate ich zu 2 Liter pro Person und Tag für eine Dauer von 3-5 Tagen. Aufgrund der guten Lagerfähigkeit eignet sich hier Mineralwasser in Glasflaschen.

Eine Sorge kann ich auch entkräften: Das Mindesthaltbarkeitsdatum kann bei lang haltbaren Lebensmitteln in der Regel deutlich überschritten werden. Hier heißt es Hausverstand einschalten: schmecken, riechen, kosten; wenn keine Auffälligkeit zutage tritt, können Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, unbedenklich konsumiert werden. Gerade Dosenprodukte halten in der Regel Jahrzehnte.

Es gibt bereits mit mehreren großen Lebensmittelketten Gespräche über die Einführung sogenannter „Survival Kits“. Vermutlich werden wir mit einer Produktliste starten, wo sich die Kund:innen ihr Paket einfach selbst zusammenstellen können. Für jene, die lieber nur ein Sorglospaket haben wollen, wird es auch entsprechende Angebote geben.

HV: Sie haben eine Art Planspiel entwickelt, in dem es um den (richtigen) Umgang mit einem Blackout geht. Wie funktioniert dieses Spiel konkret und wo kommt es zum Einsatz?

Saurugg: Gemeinsam mit einem Profispieleentwickler wurde „Neustart“, eine Blackout-Simulation für Gemeinden und Krisenstäbe, entwickelt. Diese wird der Bevölkerung ab Herbst 2021 zur Verfügung stehen. Bei „Neustart“ müssen fünf Akteure eine Kleinstadt vor dem Kollaps bewahren und die Notversorgung über mehrere Tage organisieren.

Wir möchten damit die komplexen Zusammenhänge in der Versorgung und Krisenbewältigung und auf der anderen Seite die Notwendigkeit eines professionellen Zusammenspiels von unterschiedlichen Akteuren vermitteln. Eine besondere Rolle spielt dabei auch die aktive Einbindung der Bevölkerung, um die Simulation wie auch die reale Krise erfolgreich bewältigen zu können. Wir erwarten, dass daraus auch viele Aha-Erlebnisse für die Blackout-Vorsorge entstehen werden.

„Neustart“ eignet sich auch hervorragend für Krisenstäbe in Unternehmen, um das komplexe Zusammenspiel in einer Krise mit sehr geringem Ressourcenaufwand zu trainieren.

Europaweites Blackout vorprogrammiert

HV: Rechnen Sie bis 2022 tatsächlich mit einem nationalen bzw. gar mit einem europäischen Blackout?

Saurugg: In meiner Betrachtung gibt es kein nationales Blackout, sondern nur ein europaweites, weil es das gesamte System betrifft.

So wie die letzten zehn Jahre verlaufen sind und das, was in den nächsten Monaten vor allem in Deutschland an Kraftwerksabschaltungen geplant ist, rechne ich fix damit, dass wir dieses Ereignis in absehbarer Zukunft erleben werden. Der große Knackpunkt wird Ende 2022 erreicht. Aber auch die geplanten weiteren Entwicklungen geben keinen Grund zur Entwarnung. Wann genau es passieren wird, lässt sich nicht vorhersagen. Aus systemischer Sicht werden hier aber absehbar physikalische Grenzen überschritten, die nicht beherrschbar sind. Zum Teil durch bewusste Ignoranz der physikalischen und technischen Realitäten. Das, was auf Papier funktioniert und schön ausschaut, sagt leider häufig wenig über die Realität aus.

In letzter Konsequenz geht es auch nur um den potenziellen Schaden, der damit verbunden wäre. Daher können wir diese Möglichkeit nicht ignorieren, auch, weil unsere Existenz auf dem Spiel steht. Bei einem erwarteten österreichischen Primärschaden von rund 1,2 Milliarden Euro alleine schon am ersten Tag sind jegliche Vorsorgemaßnahmen ein Schnäppchen.

HV: Welche EU-Länder sind besonders gefährdet?

Saurugg: Meine größte Sorge betrifft Deutschland. Einerseits, was das ignorierte Blackout-Risiko angeht und zum anderen, weil es viele Hinweise gibt, dass hier der Wiederanlauf deutlich länger dauern wird und besonders hohe Schäden zu erwarten sind. Das hätte auch unmittelbare und schwerwiegende Folgen für unsere Versorgungslogistik. Weiter Warnhinweise sehen wir gerade anhand der zahlreichen Lieferkettenschwierigkeiten, ohne dass es ein derart schwerwiegendes Ereignis wie ein Blackout gab.

Häufig erhalte ich auch die Frage, wer hier zuständig oder verantwortlich sei. Meine einfache Antwort: Wir alle! Als Individuen, Staatsbürger:innen oder Unternehmen. Und ja, wir sollten auch jene in die Pflicht nehmen, von denen wir erwarten, dass sie es tun müssten.

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