Fairtrade Jahresbilanz 2020: In der Mitte des Marktes und im Herzen der Menschen angekommen

Präsentation Fairtrade Jahresbilanz 2020

Die Fairtrade-Produktpalette ist riesig und reicht von Obst bis hin zu Fruchtsaft und Eis. Mittlerweile können mehr als 2100 Fairtrade-Produkte in über 5000 Verkaufsstellen in ganz Österreich erworben werden. Die Kernaufgabe von Fairtrade ist und bleibt die Verbesserung der Lebensbedingungen von Bauernfamilien und Beschäftigten auf Plantagen in Afrika, Asien und Lateinamerika voranzutreiben.

Erst am Freitag veröffentlichte das Unternehmen, dessen oberste Prämisse die Unterstützung des fairen Handels ist, seine Jahresbilanz 2020. Dazu traf das retail.at Redaktionsteam Hartwig Kirner, CEO von Fairtrade Österreich, zum Interview.

2020: Erhebliches Umsatzplus von 11%

HV: Wie stark ist das Fairtrade-Gütesiegel bei den ÖsterreicherInnen verankert und was tun Fairtrade und seine UnterstützerInnen, um die Idee des fairen Handels in den Köpfen der Menschen voranzutreiben? Können Sie hier Beispiele nennen?

Kirner: Fairtrade hat eine gestützte Bekanntheit von 93% und auch die Vertrauenswerte in die Marke liegen ca. bei 90%.  Dem Brand Asset Valuator der internationalen Agentur Young & Rubicam nach, befand sich Fairtrade bereits vor einigen Jahren unter den Top-30 Marken in Österreich. Das zeigt, wie wichtig Fairtrade für die ÖsterreicherInnen ist und welche Wertschätzung sie erfährt.

Die „Nische“ Fairtrade ist schon lange vorbei, denn wir sind in der Mitte des Marktes und im Herzen der Menschen angekommen. Unsere Wachstumsrate ist über die Jahre phänomenal gestiegen, im Jahr 2020 gingen Direkteinnahmen von 63,2 Mio. USD an die Produzentenorganisationen. Der geschätzte Umsatz von Fairtrade-Produkten in Österreich stieg um ein erhebliches Plus von 11% auf 39 Mio. €.  Fairtrade ist neben Bio-Landbau und Regionalität, die 3. Säule des Nachhaltigkeitsbereiches – diese Ansicht vertritt auch der Handel selbst.

Wenn die Menschen im Supermarkt mit einer langen Einkaufsliste vor dem Regal stehen, können sie sich nicht mit den Kriterien eines jeden Produktes befassen. Diese Zeit hat niemand und dieser „Aufwand“ darf auch nicht auf den Schultern der KonsumentInnen abgeladen werden. Deshalb ist ein bekanntes Siegel wie „Fairtrade“ so hilfreich. Man kennt es einfach und muss nicht nachdenken, ob das jeweilige Produkt ethischen Standards entspricht, oder nicht.

Kakao ist Superstar des Fairtrader-Portfolios

HV: Welche sind die großen FAIRTRADE-Warengruppen und können Sie uns zu diesen einige Beispiele zu den Neuerungen im Jahr 2020 nennen?

Kirner: Der Star unseres Produktportfolios und auch die umsatzstärkste Warengruppe mit einem Umsatzanteil von 48% ist der Kakao. Zu den weiteren Warengruppen zählen Kaffee, Reis, Zucker, Bananen, Rosen oder Baumwolle. Nun aber zurück zum Kakao: Mit dem Fairtrade-Kakaosiegel konnten wir in den vergangenen 2-3 Jahren viele Partnerfirmen gewinnen, darunter Heindl, Berger und ganz neu Manner, Berglandmilch oder Ölz: Alle diese Partnerunternehmen werden den Kakao für ihre Produkte nur noch aus Fairtrade-Quellen beziehen. Diese Beispiele zeigen, dass sich am Markt echt etwas bewegt hat und der faire Handel immer relevanter wird.

International ist Kaffee die erfolgreichste Fairtrade-Warengruppe, die seit 30 Jahren kontinuierlich wächst. Im letzten Jahr hat Fairtrade-Kaffee einen geschätzten Marktanteil von 8% in Österreich erreicht.

Bei Bananen ist bereits mehr als jede 4. Banane in Österreich Fairtrade Banane. Erfreulich ist auch, dass fast 100% der Bio-Bananen im österreichischen LEH Fairtrade-zertifiziert sind.

Die Warengruppe „Rosen“ konnte 2020 um 28% wachsen und hat aktuell einen Marktanteil von 37 %. Die im Supermarkt erhältlichen Rosen sind beinahe allesamt Fairtrade-zertifiziert.

Hartwig Kirner über den Fairtrade zertifizierten Rohstoff Kakao

HV: Wie viele Fairtrade Produkte sind mittlerweile in Österreich erhältlich und wo können diese gekauft werden? Wie viele ÖsterreicherInnen kaufen tatsächlich regelmäßig Fairtrade Produkte?

Kirner: Die Produktauswahl ist mit mittlerweile mehr als 2100 Produkten in über 5000 Verkaufsstellen im ganzen Land erheblich gewachsen. Fairtrade-Produkte gibt es mittlerweile an der Tankstelle ebenso wie im Supermarkt, im Weltladen oder auch in verschiedenen Cafés. Der Supermarkt bleibt dabei der Hauptabsatzkanal mit über 80%. 

Eine erst 2020 veröffentlichte Studie vom österreichischen Gallup-Institut belegt, dass 93% der ÖsterreicherInnen das Fairtrade-Siegel kennen. Fairtrade Produkte werden von 50% der ÖsterreicherInnen regelmäßig gekauft, 86% kaufen die mit unserem Siegel versehenen Produkte gelegentlich.

„Globalisierung ist kein Nischenthema.“

HV: Wie haben sich Konsumverhalten und die verschiedenen Branchen in Österreich verändert? Inwiefern merken Sie einen Umschwung zu „regionalerem Kaufverhalten“ seitens der KonsumentInnen?

Kirner: Regional und nachhaltig kaufen geht Hand in Hand, das heißt Regionalität und Fairtrade schließen sich nicht aus, sondern ergänzen einander. Bananen, Kaffee, oder auch Kakao wachsen nicht in Österreich – in Afrika oder Lateinamerika hingegen, herrscht das gesamte Jahr über optimales Klima. Bis auf den Rohstoff „Zucker“ hat Fairtrade kaum Überschneidungen mit regionalen Warengruppen. Unser Ansatz ist immer: Regional einkaufen, wenn möglich, und müssen Rohstoffe importiert werden, dann sollte darauf geachtet werden, dass diese fair hergestellt wurden. Denn auch die österreichischen Bauern haben sich natürlich faire Preise verdient.

Der positive Trend hin zu Regionalität, Bio und FAIRTRADE im vergangenen Jahr zeigt, dass die Menschen aufgrund der Krise noch mehr Bewusstsein für den Wert von Lebensmittel entdeckt haben.

Ein Großteil beschäftigt sich zudem verstärkt mit dem Gedanken „Wie lebe ich in einer globalisierten Welt?“ und „Wo ist mein Platz darin? “ Fairtrade sitzt in diesem Thema mittendrin. Ich bin davon überzeugt, dass die positive Veränderung in der Lebensmittelwahrnehmung, die wir im letzten Jahr erfahren haben, bleibt – auch nach Corona.

HV: Welchen Impact hatte die Pandemie auf die Produzentenorganisationen im Süden, aber auch auf die gesamten Lieferketten?

Kirner: Die Nachfrage nach Fairtrade-Produkten ist nicht weggebrochen und das sind zumindest wirtschaftlich beruhigende Nachrichten. Allerdings sind die Gesundheitssysteme in den Ländern des globalen Südens nicht mit unseren vergleichbar. Die Menschen wurden dadurch sehr hart von den gesundheitlichen Folgen der Corona

-Pandemie getroffen.  Auch die wirtschaftliche Lage hat sich für die Produzenten im vergangenen Jahr weiter angespannt. Die Grenzen waren dicht, Erntehelfer konnten nicht in die Zielländer einreisen und die Transportkosten sind aufgrund von Hygienemaßnahmen gestiegen. Beim Bananen abpacken stehen die Menschen Schulter an Schulter – da musste man sich mit Hygienekonzepten schützen. Hinzu kamen zwei starke Hurricanes in Lateinamerika, die für große Ernteausfälle verantwortlich waren. Auch heuer in Brasilien fällt die Ernte nicht so gut aus wie erwartet. Dass alles belastet die finanzielle Situation der Fairtrade-Produzenten sehr. Darüber hinaus spielen die Rohstoffpreise verrückt, wir beobachten sehr volatile Märkte bei Kaffee oder auch Kakao. Umso wichtiger sind in dieser Situation die Fairtrade-Mindestpreise und die –Prämie, die für Planungssicherheit und finanzielle Stabilität sorgen.

Initiative Lebensmittel wertschätzen. WIN-WIN Situation für alle Beteiligten

HV: Der Handelsverband hat vor geraumer Zeit die Initiative „Lebensmittel Wertschätzen“ ins Leben gerufen, wobei Fairtrade Österreich offizieller Partner ist. Damit soll ein bundesweiter Schulterschluss zwischen Landwirtschaft, Industrie und Handel garantiert werden und gleichzeitig der überparteiliche Dialog intensiviert werden. Warum sind Plattformen wie diese so wichtig und was muss Ihrer Meinung noch getan werden, um Regionalität, Saisonalität und Qualität noch stärker in den heimischen Supermärkten und in den Köpfen der KonsumentInnen zu stärken?

Kirner: Die Intensiv-Landwirtschaft ist einer der großen Verursacher des weltweiten CO2-Ausstoßes. w. Das muss reduziert werden, zum Beispiel indem wir gegen die Lebensmittelverschwendung ankämpfen. Derzeit werden weltweit gesehen rund 40% der produzierten Lebensmittel vernichtet anstatt gegessen. Mit der Initiative „Lebensmittel Wertschätzen“ und der daraus entstandenen Selbstverpflichtungserklärung der großen heimischen Supermärkte, lassen sich Kosten und damit auch die Lebensmittelverschwendung reduzieren. Genau aus diesem Grund sind Initiativen wie diese sinnvoll.

Darüber hinaus müssen die Menschen aufgeklärt werden. Wenn das Joghurt abgelaufen ist, kann es oft trotzdem noch gegessen werden. Bei Buffets ist es nicht notwendig, Essenstürme aufzubauen, wenn am Ende der Veranstaltung ein Großteil davon im Müll landet. Das ist ein großes Thema der Gastronomie.

Die Initiative ist jedenfalls für alle sinnvoll, ja sogar Wettbewerber untereinander profitieren davon, wenn wir der Lebensmittelverschwendung entgegenwirken.

HV: Hat Fairtrade für 2021 noch ein konkretes, neues Projekt, das Sie gerne ankündigen möchten?

Kirner: Dieses Jahr steht ganz im Zeichen des Wiederaufbaus nach Corona. Dafür hat FAIRTRADE einen internationalen Corona-Hilfsfonds in der Höhe von 15 Millionen Euro aufgestellt. Daran beteiligt sind zum Beispiel Fördergeber wie das deutsche Entwicklungsministerium BMZ und die Schweizer Entwicklungsorganisation SECO.  Mit den Geldern werden Fairtrade-Produzenten unterstützt, sodass diese ihre kurzfristigen Mehrkosten der Corona-Pandemie besser bewältigen und den Wiederaufbau nachhaltig gestalten können.

Unser Umsatz hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 11% erhöht, wir erzielten ein Wachstum von +54%. Ein großes Ziel für die nächsten Jahre ist es, die Nachfrage nach Fairtrade-Rohstoffen in Österreich zu verdoppeln.

„Die Zeiten des Solidaritätskaffees sind vorbei“

HV: Welches ist Ihr persönliches liebstes Produkt mit Fairtrade-Gütesiegel?

Kirner: Das ist für mich der Kaffee – der begleitet mich durch den ganzen Tag. Dabei trinke ich nie mehr als 3 oder 4, aber die brauche ich und das tut mir gut, um in Schwung zu kommen. Ich teste mich gerne durch und probiere lateinamerikanische und afrikanische Bohnen, da schmeckt man schon einen Unterschied. Fairtrade bietet tolle Kaffeequalitäten an, die dann zwar etwas mehr kosten als Durchschnittsware, aber wirklich geschmacklich eine Perle sind. Mir ist wichtig zu betonen, dass Qualität nicht nur der Geschmack eines Produktes ist. Es sind auch die ethischen Standards, die ein Produkt besser machen. Denn faire Produktionsbedingungen sind auch ein Qualitätsmerkmal.

Hartwig Kirner ist Geschäftsführer von Fairtrade Österreich

Als Geschäftsführer von FAIRTRADE Österreich setzt sich Hartwig Kirner für einen fairen Handel weltweit sowie für Nachhaltigkeit Out-of-the-Box ein. FAIRTRADE Österreich wurde 1993 gegründet und zeichnet Waren mit dem FAIRTRADE-Gütesiegel aus, die unter gerechten Bedingungen hergestellt und nach Österreich geliefert wurden.

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