Charles macht Conversational Commerce: „Das Rennen um den Platz im „Telefonbuch“ hat begonnen.“

Gründer “Charles” | Artjem Weissbeck und Andreas Tussing

Nach einem gemeinsamen Urlaub in Brasilien und einem Blick nach Asien haben Artjem Weissbeck und Andreas Tussing beschlossen, dass es Zeit wird „Charles“ ins Leben zu rufen. Das Berliner Startup setzt auf Chat Apps wie WhatsApp als neuen Vertriebskanal, möchte mit Conversational Commerce vor allem langfristige Werte schaffen und dabei zu 100% auf das Vertrauen von KundInnen und HändlerInnen setzen. Wie „Charles“ den eCommerce Sektor revolutionieren will und wie und warum sie das tun, was sie tun, erzählt Artjem Weissbeck im Interview mit retail.at.

Perfektes Paar: Die menschliche Wärme des Einzelhandels im Chat mit der digitalen Geschwindigkeit des eCommerce

HV: Andreas Tussing und du habt „Charles“ erst im Dezember 2020 gelauncht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, dem Handel die Möglichkeit zu bieten, Waren und Services über WhatsApp und andere Messenger Dienste zu vertreiben? Habt ihr damit eine Marktlücke entdeckt? 

Artjem Weissbeck: 2018 waren wir auf einem gemeinsamen Urlaub in Brasilien. Andreas und ich sind seit über 10 Jahren Freunde, er hat vorher bei McKinsey das E-Commerce Team geleitet und ich hatte die Direct-To-Consumer Brand Kapten & Son aufgebaut, deshalb sprachen wir viel über die Zukunft des Handels. Ein Blick nach Asien zeigte, dass dort viele Produkte und Dienstleistungen über Chat Apps wie WeChat* und Co. eingekauft werden. Wir fanden dies extrem spannend, da im Chat die menschliche Wärme des Einzelhandels mit der digitalen Geschwindigkeit des E-Commerce verbunden werden kann. KundInnen werden über ihre Handynummern wiedererkannt und bekommen so eine individuelle Erfahrung – echte Personalisierung ohne Account oder Log-in.

So haben wir 2019 den ersten WhatsApp Shop Europas gegründet, wobei man Basics wie Socken und Pullover einfach über Chat nachbestellen konnte: „Charles, ich brauch noch mal eine Packung Unterhosen, danke!“. Die KundInnen liebten es, wie uns das Feedback, die Conversion-Rate und die Wiederkaufsraten verrieten. Für uns als Unternehmen jedoch war es sehr schwer, diese Kundenerfahrung technisch sauber und skalierbar darzustellen, da es keine Software gab, die den Verkauf in Chat Apps ermöglicht. Gleichzeitig fragten viele HändlerInnen nach, wie wir das technisch lösen und da wurde uns die Marktlücke ganz deutlich bewusst. Ende 2019 gab es dann den Pivot (Analysetool) und seitdem bauen wir mit Charles die Software, die es allen Marken und HändlerInnen auf einfache Weise ermöglichen soll, Chat Apps wie WhatsApp als neuen Vertriebskanal aufzubauen. Denn das ist der Ort, wo sich die KundInnen aufhalten, und damit hat das Rennen um den Platz im Telefonbuch begonnen.

*Zur Erklärung: WeChat ist Chinas beliebtester Chat-Dienst für Smartphones mit einer monatlichen Nutzerzahl von mehr als einer Milliarde Menschen. In der App enthalten sind nicht nur der meistgenutzte Messenger-Dienst in Asien, sondern ebenso eine umfangreiche Bezahlfunktion, zahlreiche Mini-Programme und sogar eine Dating-Plattform.

HV: Was genau ist Conversational-Commerce as a service? Wie lautet die Definition und gibt es konkrete Einsatzgebiete? Und noch viel wichtiger: Wie funktioniert dieser Service?

Artjem Weissbeck: Conversational Commerce bringt den Handel in den Chat. Stell dir vor, du verkaufst hochwertige Betten, beantwortest alle Fragen deiner KundInnen in WhatsApp und nach deren Entscheidung erstellst du für sie einen Warenkorb und schickst ihnen den Link zum Bezahlen direkt im Chat. Sie chatten quasi bis zum Checkout oder „Chatout“, wie wir den Kaufabschluss im Chat nennen. Das funktioniert, indem wir unsere Technologie-Schnittstellen von WhatsApp & Co mit Schnittstellen von Shop & CRM-Systemen wie Shopify, Shopware, SAP oder Hubspot verbinden. Dadurch werden Chat und Verkauf in einer intuitiven Oberfläche userfreundlich gemacht. Der „Service“ Part dabei ist, dass viele HändlerInnen in diesem neuen Kanal Unterstützung benötigen- auch in der Positionierung und in Verbindung mit deren Onlineshop oder stationärem Laden. Bei Charles helfen unsere cCom (Conversational Commerce) ExpertInnen dabei als echte, langfristige Partner. So ist das Beispiel mit den Betten nicht erfunden, denn einer unserer KundInnen, die Firma Woodboom, verkauft mittlerweile mehr als 70% ihrer Betten über WhatsApp mithilfe von Charles statt im Onlineshop.

HV: Hinter dem Startup steckt doch bestimmt eine große Vision. Wollt ihr sie mit uns teilen? Und wie sieht euer Geschäftsmodell aus?

Artjem Weissbeck: Unsere Vision ist es aus Europa heraus das technische Fundament für die globale Zukunft des Conversational Commerce zu liefern. Wie es ein SAP zum Beispiel für den Handel geschafft hat.

Große Pläne: “Charles” soll in Zukunft auch mit “WeChat” kooperieren

HV: Gibt es internationale Vorreiter, an denen ihr euch orientiert? Zum Beispiel „WeChat“ in China?

Artjem Weissbeck: Ja. In Asien und Südamerika ist Conversational Commerce schon Alltag, am meisten genutzt durch kleinere HändlerInnen wie z. B. die Apotheke um die Ecke. Unsere Software ist dagegen nicht nur für KMUs, sondern auch für große Unternehmen geeignet. Auch WeChat soll eines Tages als Kanal angebunden werden. Aktuell konzentrieren wir uns aber noch auf den DACH Raum und damit auf WhatsApp und Facebook Messenger.

HV: Welche Vorteile ergeben sich durch Conversational Commerce, also durch „Charles“, für HändlerInnen sowie für KonsumentInnen?

Artjem Weissbeck: Für Unternehmen mit durchschnittlich hohen Warenkörben hat die Nutzung von Charles vor allem die Erhöhung der Conversion-Rate zur Folge. Denn Chat Apps stellen die perfekten Kanäle dar, um den Entscheidungsprozess zu begleiten und zu beeinflussen. Für viele KlientInnen wandeln wir hierfür ihre bestehenden Servicecenter in Sales-Center um. Aus Kosten wird zusätzlicher Umsatz, das geht schneller als man denkt.

Für Unternehmen mit wiederkehrenden KundInnen ist der größte Vorteil die Erhöhung der Wiederkaufsrate. Die Boston Consulting Group hat laut einer Studie aus den Philippinen erkannt, dass HändlerInnen, die die Chatfunktion nutzen, im Schnitt 60 % mehr Umsatz über denselben Zeitraum machen als normale KundInnen. Wir befeuern das, indem wir den Prozess innerhalb WhatsApp und Co sehr einfach gestalten, wo sehr persönliche Benachrichtigungen an KundInnen in regelmäßigen Abständen geschickt werden.


Zusätzlich gibt es für HändlerInnen mit einem starken Ladengeschäft die Möglichkeit, ihre VerkäuferInnen rund um die Uhr einzusetzen. So kann jede/r VerkäuferIn die Nachbarschaft und seine persönlichen KundInnen auch vor und nach dem Besuch in der Filiale weiter betreuen. Einigen unserer KlientInnen hilft das vor allem während Corona den Zugang zu ihren KundInnen zu bewahren.

“Wir sind jedenfalls nicht das nächste Chatbot-Unternehmen”

HV: Gibt es bestimmte Produkte oder Services, die sich besonders gut über Social Media Netzwerke wie WhatsApp vertreiben lassen? Oder anders gefragt: Welche Unternehmen fallen nicht in eure Zielgruppe?

Artjem Weissbeck: Wir beobachten tatsächlich ein rasantes cCom Wachstum bei Unternehmen mit höherpreisigen oder beratungsintensiven Produkten und Dienstleistungen. Das geht von Luxusuhren, Möbeln, Fahrräder über Auto-Leasing-Verträge bis hin zu Versicherungen. Die Conversion-Rate nimmt massiv zu und gleichzeitig haben EndkundInnen eine sehr schöne und persönliche Erfahrung, von der man im Anschluss gerne FreundInnen und KollegInnen erzählt. Zu unserer Zielgruppe gehören OnlinehändlerInnen genauso wie EinzelhändlerInnen.

Unternehmen mit geringen Warenkörben und einmaligen Verkäufen raten wir davon ab, unsere Software zu nutzen. Hier lohnt es sich nicht, einen Menschen mit KundInnen chatten zu lassen. Die Webseite bietet sich hier als das bessere Medium an. Wir sind jedenfalls nicht das nächste Chatbot-Unternehmen, das auf volle Automatisierung von Gesprächen setzt. Wir glauben, das führt zu oft zu frustrierten Endkundenerfahrungen. Stattdessen stellen wir den Menschen ins Zentrum und integrieren Chatbot als Unterstützer und Helfer: Von ihnen kommen z. B. Vorschläge für Antworten oder es werden Aktionen in Systemen für den menschlichen Verkäufer ausgeführt. #dreamteam

HV: Was macht Sales über Plattformen wie WhatsApp oder Facebook Messenger attraktiver als zum Beispiel Newsletter, Chatbots auf Websites oder Werbeanzeigen auf Social Media?

Artjem Weissbeck: Bei WhatsApp und Facebook Messenger ist man direkt in die Gewohnheiten der KundInnen integriert, sofern sie einen über die Chat-Funktion daran teilhaben lassen. Wer mit diesem Vertrauen gut umgeht, kann mit deutlich höheren Öffnungs- und Antwortraten rechnen.

HV: Ihr habt gerade eine Seed-Finanzierungsrunde in der Höhe von 6,4 Mio. EUR erzielen können. Welche zukünftigen Entwicklungsschritte habt ihr mit dieser Investitionssumme geplant?

Artjem Weissbeck: Wir verdreifachen aktuell unser Team, um mehr Tiefe ins Produkt zu bringen und KlientInnen noch mehr Zeit mit unseren cCom Experten zu widmen. Klientenwachstum ist zwar ein Ziel, aber das Ausmaß soll gesund bleiben, da es uns viel wichtiger ist, den aufgenommen Unternehmen wirklich zum Erfolg zu verhelfen.

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