Seit Beginn dieses Jahres ist der Handelsverband am österreichischen Startup anna-kauft.at beteiligt, einer genialen und vor allem regionalen Produktsuchmaschine, die von Entrepreneur Florian Bauer und seinem Business-Partner Filip Zganjer gegründet wurde. Florian erzählt im exklusiven Interview mit retail.at in welchen Bereichen Amazon ein Vorbild ist und warum er selbst beim amerikanischen Online-Giganten bestellt. Außerdem sprechen wir über das Potenzial von anna-kauft.at zum österreichischen Amazon zu werden, welche Besonderheiten die Plattform der beiden Jungunternehmer von der Konkurrenz unterscheiden und welche Rolle Nachhaltigkeit, User Experience und Mobile Shopping dabei spielen.

Ein Hackathon führt zum nächsten und im besten Fall gewinnt man neue KundInnen
HV: Florian, du bist Mitbegründer der MoonHolding GmbH, deren Slogan „we burn for digital change“ lautet. Dabei habt ihr euch auf drei Kernfelder spezialisiert: Technologie, eCommerce und Deep Tech. Was genau steckt hinter der MoonHolding und welche Unternehmen wurden unter diesem Dach bereits gelauncht?
Florian Bauer: Wir sind ein Company Builder in Wien – also eine Firma, die neue Firmen gründet und fokussieren hier stark auf technologische Zukunftsfelder. 2015 starteten wir mit unserer ersten Firma MoonShiner, einem IT-Dienstleister für anspruchsvolle und schwierige technische Projekte im Web. Es wurde schnell klar, dass der Erfolg von digitalen Projekten zum größten Teil von der technischen Umsetzung abhängt und das ist, worauf sich MoonShiner zu 100 % konzentriert.
Am Weg gab es jedoch Möglichkeiten, mit diversen Produktentwicklungen zu experimentieren. So entstand zum Beispiel eine Car Sharing App für BMW, aus der dann später MoonMobility wurde. Das Schöne im Softwarebereich ist, dass mit relativ wenig Aufwand viele Dinge gebaut werden können, seien es nun Apps oder Websites. In den vergangenen Jahren nahm ich bestimmt an 15 Hackathons teil und habe einige davon gewonnen. Dabei hat jede/r TeilnehmerIn 24 Stunden Zeit, ein vorgegebenes Problem mittels Software zu lösen. Zu „Dishtracker“, worüber ich später noch mehr erzählen werden, kam es durch den Audi-Hackathon. Ein Hackathon führt zum nächsten und auf dem Weg gelingt es im besten Fall neue KundInnen zu gewinnen. Mein Team und ich arbeiten oft nach der Devise: Einfach mal basteln und schauen, was passiert. Das war auch bei der Entwicklung von anna-kauft.at so, unserer Produktsuchmaschine.
Damit jede Firma ihren eigenen Fokus behält, wurden Projekte mit großem Potenzial in eigene Firmen ausgegründet und so kamen die Spin-offs MoonVision, Dishtracker, Engage Media und ein paar weitere hinzu. Seit letztem Jahr investieren wir auch in nicht selbstgegründete Firmen wie zum Beispiel devjobs.at.
HV: Gibt es unter all den genannten Unternehmen vielleicht sogar einen digitalen Vorreiter, der (bis jetzt) als das erfolgreichste Projekt bezeichnet werden kann?
Florian Bauer: Ich glaube, dass Technologie oftmals als etwas sehr Kompliziertes und Schwieriges angesehen wird und viele Menschen dennoch so einfache und verrückte Anwendungsfälle als spannend erachten. Aufgrund dieses Projektes wurden uns viele Türen geöffnet und wir konnten sogar ein paar Preise einheimsen. 2017 wurde die Moonshiner GmbH von „Die Presse“ zum Startup des Jahres gekürt. Bei Hackathons gibt es zudem oft große Geldsummen von über 10.000 Euro zu gewinnen und mit diesem Geld sind mein Team und ich dann auf Urlaub geflogen.
Die größten Wellen hat mit Sicherheit MoonVision mit Dishtracker geschlagen, weil wir als erste Firma Computer Vision Technologie eingesetzt haben, um Grillhendl beim Oktoberfest per Kamera automatisiert zu erkennen. Wie das funktioniert? Schau dir am besten gleich das Video dazu an:
anna-kauft.at bietet massive Vielfalt an Produkten und HändlerInnen
HV: Heute möchten wir vor allem über die regionale Suchmaschine anna-kauft.at mit dir sprechen, an der sich der Handelsverband als Kooperationspartner beteiligen durfte. Diese wurde bereits im ersten Lockdown im März letzten Jahres gelauncht und verzeichnet mittlerweile über 650.000 Produkte österreichischer HändlerInnen. Warum haben dein Business-Partner Filip Zganjer und du Bedarf für eine derartige Suchmaschine in Österreich gesehen und mit welchem Ziel habt ihr sie ins Leben gerufen?
Florian Bauer: Wir merkten zu Beginn der Coronakrise, dass die Digitalisierung des eigenen Geschäfts vor allem für kleine HändlerInnen noch sehr schwierig ist. Die Krise hat auch gezeigt, wie wichtig der stationäre Handel für viele HändlerInnen war und ist und welches Chaos entsteht, wenn dieser plötzlich komplett wegbricht. Um einen Beitrag für die heimische Wirtschaft zu leisten, riefen wir eine Händlersuche ins Leben, die der Konkurrenz von Beginn an technisch meilenweit voraus war. Die Zugriffszahlen zeigten schnell, wie groß das Interesse der KonsumentInnen im regionalen Handel einzukaufen tatsächlich ist.

HV: Was unterscheidet anna-kauft.at von anderen regionalen Suchmaschinen wie zum Beispiel dem Online-Marktplatz der Post shöpping.at? Welche würdest du als die größte Besonderheit von anna-kauft.at bezeichnen?
Florian Bauer: anna-kauft.at ist eine Produktsuchmaschine und noch kein Online-Marktplatz, wie es shöpping.at ist. Das bedeutet, wir können die Interessen der KonsumentInnen je nach deren Sucheingaben messen und analysieren jedoch nicht die getätigten Käufe.
Unser Ziel ist es, die beste Auffindbarkeit von Produkten heimischer HändlerInnen zur Verfügung stellen und einen sympathischen Weg zu zeigen, wie man österreichische Onlinehändler schnell und einfach im Internet entdecken kann. Momentan ist es so, dass sich anna-kauft.at eher auf kleine Händler fokussiert, die sich shöpping.at nicht leisten können – das wiederum bringt uns Reichweite.
Was uns allerdings am meisten von der Konkurrenz unterscheidet, ist die massive Vielfalt an Produkten und HändlerInnen, die bei uns gelistet sind. Wir verzeichnen nun knapp 4.000 HändlerInnen mit Ihren Produkten und weitere 11.000 sind mittels „Suchfeld“ auffindbar. Das bedeutet, unsere Produktsuchmaschine liefert die volle Bandbreite des österreichischen Onlinehandels mit nur wenigen Klicks.
HV: Wie finanziert sich anna-kauft.at? Müssen HändlerInnen, die Produkte über Ihre Plattform vertreiben, eine Provision bezahlen?
Florian Bauer: Unser Team arbeitet derzeit an unserem Business Case und ist darauf fokussiert, erst zu dem Zeitpunkt zu verdienen, an dem wir den HändlerInnen Umsatz bringen. Bis dahin bieten wir vor allem wegen der Corona-Krise und dem sich daraus ergebenden Stress das gesamte Angebot kostenlos an.
Etwas Umsatz erwirtschaften wir mit Affiliate-Marketing und diversen Beratungsdienstleistungen im eCommerce Umfeld. Unser Ziel ist es jedoch, den kleinen HändlerInnen online zu einem Umsatzpush zu verhelfen.
HV: Bestellst du selbst auch hin und wieder online bei Amazon, Wish & Co – oder ist ein Einkauf bei den Online-Giganten ein No-Go für dich?
Florian Bauer: Ich glaube, es geht manchmal gar nichts anders. Amazon bietet das beste Einkaufserlebnis am Markt und ist für viele OnlinehändlerInnen vor allem für jene, die online Stammkunden gewinnen möchten, ein Vorbild. Dennoch bin ich tief davon überzeugt, dass AnbieterInnen hierzulande ihren KundInnen ein besseres, persönlicheres und schnelleres Erlebnis bieten können, als dies derzeit der Fall ist. Wir werden sie dabei unterstützen!
Was ich auch noch erwähnen möchte: Kleinen HändlerInnen ist es möglich, Grußkarten bei Bestellungen beizulegen bzw. auch ein gutes Verständnis für Ihre KundInnen zu entwickeln, das nicht rein auf Algorithmen basiert. Ich glaube das Gefühl wieder bei „echten Menschen“ einzukaufen, wird online eine Renaissance finden. Diesen Prozess technisch abzubilden, wird sich jedoch als große Herausforderung gestalten.
Das Problem mit Amazon ist ja nicht nur deren hoch effizienter Abwicklungsprozess, sondern vor allem die gegebene Monopolstellung und der Fakt, dass der Online-Riese in Österreich wenig bis keine Steuern zahlt.
Österreich und sein Wachstumspotential durch Digitalisierung
HV: Sprechen wir über die aktuellen eCommerce Trends in Österreich. Welche davon siehst du in Zukunft auf Österreich zukommen und gibt es einen bestimmten Trend, den anna-kauft.at bald verwirklichen möchte? Welche Produktgruppen werden momentan am häufigsten bei euch online bestellt?
Florian Bauer: Als Suchmaschine haben wir sehr gute Daten zum Suchverhalten der UserInnen, die uns zeigen, dass die Plattform stark bei für Suche nach passenden HändlerInnen eingesetzt wird. Unsere BesucherInnen finden AnbieterInnen von Lebensmittel, Fleisch, Spielzeug und Geschenke. Vor allem sind es aber Spezialprodukte, die anna-kauft.at stark machen, denn es wird zum Beispiel gezielt nach Shops für Druckerpatronen, Schleifsteine oder Naturprodukte gesucht. Wird dieselbe Suchanfrage an Google gestellt, scheinen dort in erster Linie nur die ganz großen (internationalen) Shops auf.
Zukünftig wird das Mobil-Shopping den Markt dominieren, etwas auf das kleine Onlineshops de facto (noch) gar nicht vorbereitet sind. Auch das Thema Nachhaltigkeit rückt immer weiter in den Vordergrund. Dabei dreht sich viel um die Frage, wie man KonsumentInnen vermittelt, ob der Kauf eines Produktes eine gute Sache für die Umwelt war oder nicht – hier wird Regionalität hoffentlich eine große Rolle spielen. Sowohl Mobile-Shopping als auch Nachhaltigkeit sind zwei große Themen, denen wir uns in der Zukunft gezielt widmen werden. Dabei darf man nie aus den Augen verlieren, dass ein Online-Marktplatz nur dann erfolgreich sein kann, wenn er für KonsumentInnen einfach zu bedienen ist, eine gute Experience sowie HändlerInnen gleichzeitig einen Mehrwert bietet.
HV: Ende 2020 hast du verlautbart, mit anna-kauft.at die Idee zu verfolgen, einem österreichischen Amazon näherkommen zu wollen. Steht dieser Plan immer noch und wie möchtet ihr das realisieren?
Florian Bauer: Wie zuvor erwähnt, ist Amazon in vielen Bereichen ein Vorbild. Man muss sich in der Abwicklung des Kundenerlebnisses an ihnen orientieren, um erfolgreich zu sein. Wir möchten für die Menschen in vielen Kategorien Alternativen aufzeigen, wie sie ihre Käufe auch außerhalb des Amazon-Universums durchführen können, ohne dabei ein schlechteres Einkaufserlebnis zu haben. Für viele KonsumentInnen ist es wünschenswert, dass ein großer Teil der Wertschöpfung in unserem Land passiert und wenn die Convenience und das Kauferlebnis stimmen, werden sie auch gerne hierzulande einkaufen.
HV: Das Wachstumspotential durch Digitalisierung beträgt bis zu 1,9 % pro Jahr. Für Österreich würden diese Simulationen ein Wachstumspotenzial von bis zu 3,6 Mrd. Euro an zusätzlichem BIP-Wachstum pro Jahr bedeuten. In den Medien wird Österreich jedoch oft als digitales Entwicklungsland beschrieben. Sieht du das auch so? Was muss getan werden, um die Digitalisierung in Österreich voranzutreiben und worin sehen Sie die größten Blockaden, um dieses Ziel zu erreichen?
Florian Bauer: Österreich ist aus vielen Perspektiven ein Technologieland. Ich kenne viele Firmen und Personen, die internationale Trendsetter in ihrer Branche sind und ihr Business gerne von Österreich aus verfolgen, da hier die Lebensqualität enorm hoch ist. Dieses Lebensgefühl macht vermutlich auch unsere Gemütlichkeit aus – vielleicht ist auch das der Grund, warum wir in persönlichen Branchen wie im Tourismus, in der Hotellerie und in der Gastronomie extrem innovativ sind und in digitalen Bereichen weniger Mut und Pioniergeist zeigen. Ich hoffe stark auf die nachkommenden jungen Generationen. Vielleicht werden sie Technologie ebenso innovativ und persönlich gestalten und europäische Werte in die Digitalisierung einfließen lassen – das wäre ein schöner Kontrast zu den KollegInnen von Übersee. Ich bin davon überzeugt, es würde uns allen guttun, wenn die digitalen Welten im Bereich des Internets, wieder etwas heterogener und positiver werden.