Wie gut kann sich Österreich selbst versorgen?

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die heimische Lebensmittelversorgung einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft eingenommen. Selbstversorgungsgrade rücken daher immer mehr in den Fokus. Doch was sagen diese eigentlich genau aus und wie gut kann sich Österreich tatsächlich selbst versorgen? Ein genauer Blick auf die Zahlen gibt Aufschluss.

Ist Österreich gut versorgt?
(c) Adobe Stock


„Wie gut können wir uns in Österreich selbst versorgen?“, lautet die Frage, die seit Beginn der Corona-Pandemie durch die Medien hallt. „Haben wir genug, um im Ernstfall, wenn alle Grenzen dicht sind, über die Runden zu kommen?“ ist die detaillierte Ausführung der Frage, die einigen Menschen durch die Köpfe geht. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, kommunizieren Medien immer wieder Prozentangaben in Zusammenhang mit Lebensmittelgruppen: Es handelt sich dabei um Selbstversorgungsgrade. Doch was sagen diese genau aus?

Der Selbstversorgungsgrad stellt die heimische Produktionsmenge der Inlandsverwendung eines Lebensmittels gegenüber. Hier ein Beispiel: In Österreich wurden in einem Jahr rund 476.000 Tonnen Äpfel geerntet, aber zirka 507.000 wurden frisch gegessen oder auch für die Erzeugung von Apfelsaft, Mus oder Apfelgelee verwendet. Stellt man die beiden Werte einander gegenüber, erhält man den Selbstversorgungsgrad. Bei Äpfeln liegt dieser mit 94 Prozent knapp unter der 100 Prozent-Marke.

100 Prozent Selbstversorgung – auch ein Ziel aus gesundheitlicher Perspektive?

Ökonominnen und Ökonomen würden das Erreichen der 100-Prozentmarke bei vielen Lebensmittelgruppen als eindeutiges Ziel einer Volkswirtschaft beschreiben. Denn: Kann sich ein Staat gut selbst versorgen, ist er unabhängiger von Importen. Österreich hat dieses Ziel laut der Versorgungsbilanzen der Statistik Austria (Zahlen von 2018/2019) bei einigen Lebensmittelgruppen erreicht: Zu 109 Prozent konnte sich Österreich im vergangenen Jahr selbst mit Fleisch versorgen, bei Konsummilch waren es sogar 164 Prozent. Auch bei Bier knackte das kleine Land mit 104 Prozent die erwünschte Marke. Im Bereich Gemüse und Obst sieht es dagegen – wie Greenpeace erst kürzlich kritisierte – eher mau aus: 54 Prozent waren es bei Gemüse und 59 Prozent bei Obst (inklusive exotischen Früchten, die hierzulande nicht wachsen, wie etwa Bananen). Werden nur heimische Obstsorten wie etwa Äpfel oder Birnen in die Berechnung miteinbezogen, liegt der Wert mit 82 Prozent deutlich höher.

Interessant ist es, dieses Zahlen mit den Pro-Kopf-Verbräuchen und den Ernährungsempfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) in Verbindung zu bringen. Denn tendenziell produzieren wir in Österreich viele Lebensmitteln, von denen wir zu viel essen und trinken, wie etwa Fleisch oder Bier; weniger produzieren wir hingegen von Lebensmitteln, von denen wir auch aus gesundheitlicher Perspektive mehr essen könnten, wie etwa Gemüse und Obst. Würde die Statistik somit nicht den Ist-, sondern den Soll-Zustand mit der inländischen Produktion miteinander vergleichen, läge man etwa bei Fleisch bei über 200 Prozent.

Internationale Lieferketten und regionaler Gusto verzerren Selbstversorgungsgrad

Auch ein lebensnahes Beispiel in Bezug auf Schweinefleisch stellt den Selbstversorgungsgrad infrage: Schweinefleisch verzeichnete im Jahr 2018/2019 einen Selbstversorgungsgrad von 101 Prozent. Doch was frisst ein Schwein und welche Teile des Schweins essen wir in Österreich? Das Schwein bekommt in der Mast in vielen Fällen Soja aus Übersee und wird mit essenziellen Aminosäuren aus China gefüttert. Ist das Schwein erst geschlachtet, beginnt der globale Handel von Neuem: Wie auf der Grafik zu erkennen, werden viele Teilstücke in Staaten exportiert, deren Gusto sich über das Karree hinweg bis zum Schweinekopf erstreckt. Im Gegenzug importiert Österreich wiederum „seine Lieblingsteile“ aus anderen Ländern. Das etwa 100-prozentige Schwein des heimischen Selbstversorgungsgrades ist also ein fiktives, das sich aus den – aus österreichischer Perspektive – besten Stücken zusammensetzt.

Was sagt der Selbstversorgungsgrad somit genau aus?

Selbstversorgungsgrade betrachten den Ist-Zustand und geben Auskunft darüber, wie gut wir mit unseren produzierten Lebensmitteln im Inland auskommen, wenn wir weiteressen wie bisher. Vorgelagerte und nachgelagerte internationale Lieferketten werden in den Berechnungen nicht berücksichtigt. Trotzdem vermittelt ein hoher Selbstversorgungsgrad Sicherheit, da wesentliche Schritte der Lebensmittelherstellung im Inland stattfinden.

BU: Selbstversorgung in Österreich am Beispiel Apfel: Die Inlandsverwendung wird der Erzeugung gegenübergestellt. Auch auf der Grafik ersichtlich sind Import, Export sowie der Pro-Kopf-Verbrauch.

BU: Regionaler Gusto: Viele Teilstücke des heimischen Schweins gehen ins Ausland

Dieser Beitrag ist zu erst hier erschienen.

Leave a Reply