Durch eine barrierefreie Customer Experience kaufkräftige Kundensegmente erschließen

WISSENSCHAFT
Victoria Waba hat in ihrer Masterarbeit an der FH St. Pölten analysiert, welche Faktoren für blinde und sehbehinderte UserInnen ausschlaggebend für die Inklusion am Online-Marktplatz sind.


Online-Marktplatz für alle?

Die durch Covid-19 bedingte globale Krise ist nicht nur zum Katalysator für Digitalisierungsprozesse geworden, sie verdeutlicht auch einmal mehr die wachsende Bedeutung des Onlinehandels. Europäischer Spitzenreiter im E-Commerce war 2019 das Vereinigte Königreich. Hier gaben 80% der Befragten im Alter von 16 bis 74 Jahren an, in den letzten drei Monaten einen Onlinekauf getätigt zu haben. Österreich lag mit einem OnlinekäuferInnen-Anteil von 54% im Mittelfeld.

Dass ein kaufkräftiges Kundensegment dabei durch die fehlende Barrierefreiheit in Onlineshops auf Hürden im Conversion Funnel stößt, durch reine Online-Angebote preislich benachteiligt oder in ihrer Konsumentenentscheidung beschnitten wird, bleibt eine Randnotiz. Das World Wide Web Consortium (W3C) konzipiert unter anderem Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), Richtlinien zur Barrierefreiheit von Webinhalten, deren aktuelle Version 2.1 in der Europäischen Union seit 2019 für öffentliche Stellen verpflichtend umzusetzen sind. Für die Privatwirtschaft handelt es sich dabei um eine Handlungsempfehlung.

Barrierefreie Nutzung als Einkaufsmotivation

Basierend auf Konzepten zu inklusiven Designprozessen, Grundlagen zur Konformität an aktuelle Richtlinien der Barrierefreiheit und Paradigmen universeller Usability wurden anhand einer quantitativen Befragung in der Zielgruppe blinder und sehbehinderter KonsumentInnen im DACH-Raum Inklusionsfaktoren evaluiert. Rund 31% der Befragten gaben an, mehrmals im Monat online einzukaufen, jeweils 13% einmal pro Woche bzw. einmal im Monat. Bezüglich der Häufigkeit von Produktkategorien kaufen rund 69% am öftesten technische Geräte, 45% Haushaltsartikel sowie jeweils 33% Lebensmittel und Drogerieprodukte.

Dabei bestätigte sich unter anderem die in der Forschung bereits belegte Diskrepanz zwischen der normativen (d.h. der rein technischen Umsetzung von Richtlinien) und der tatsächlichen effektiven Barrierefreiheit durch die EndnutzerInnen. Ebenso zeigen die empirischen Erkenntnisse einen Zusammenhang zwischen der Eigenständigkeit als kaufkräftige KonsumentInnen (im Sinne einer erfolgreicher Customer Journey im Webshop ohne dabei Hilfe von Anderen zu benötigen) und der Einkaufsmotivation. Der Einsatz von CAPTCHAs hat dabei einen durchwegs negativen Einfluss auf die Customer Experience dieser UserInnen-Gruppe. Besonders am Ende der Journey, also im Zuge des Zahlungsprozesses und Bestellabschlusses, trüben sie das Einkaufserlebnis nachhaltig – selbst wenn die Bedienung des Onlineshops bis zu diesem Punkt eigenständig und barrierefrei möglich war.

Must-Haves: Grundverständnis für Barrierefreiheit und Fokus auf die Customer Journey

Die am häufigsten umgesetzten Guidelines finden sich bei Bildbeschriftungen, die in den meisten Fällen einer erfolgreichen Suchmaschinenoptimierung zuzuschreiben sind. Doch selbst wenn die Webseite auf den ersten Blick einen guten Accessibility-Score aufweist, kann die User Journey von der Produktsuche bis zum Warenkorb und Checkout-Prozess dennoch Barrieren beinhalten, die das Einkaufserlebnis maßgeblich beeinflussen, obwohl sie in der Regel technisch schnell behebbar sind. Ein Grundverständnis für die technischen Hintergründe von Barrierefreiheit ist daher Voraussetzung. Assistenztechniken wie Screenreader geben die textbasierten Inhalte einer Webseite akustisch wieder. Eine rein visuell ausgelegte UserInnen-Führung ist der barrierefreien Nutzung daher nicht dienlich. Sind wichtige Elemente nicht korrekt ausgewiesen, kann dies gleich beim Einstieg zu Unsicherheiten in der Orientierung oder Navigation führen und einen schnellen Abbruch zur Folge haben.

Unternehmen sollten darauf achten, dass konkrete Navigationspunkte und Vertrauensanker des Onlineshops barrierefrei wahrnehmbar sind. Dies betrifft vor allem die Beschriftung von Icons (wie Menü, Kundenkonto und Warenkorb), eine akustische Rückmeldung bei Änderung des Warenkorbinhalts, das Vermeiden der Präsentation wichtiger Inhalte (etwa zeitlich bedingte Aktionen bzw. Rabattcodes) über rein dynamischen Content wie Videos oder Slideshows, die Beschriftung von Formularfeldern beim Bestellabschluss, aber auch Informationen zu Zahlungsoptionen. Um eine barrierefreie Nutzung des eigenen Onlineshops zu garantieren, empfiehlt es sich abschließend, durch User Tests und konsequente Evaluierungen konkrete Touchpoints der User Journey auf ihre Barrierefreiheit zu testen, im Idealfall mit Beteiligung der dadurch profitierenden NutzerInnen-Gruppe und ihrer technischen Hilfsmittel.

Inklusive Designprozesse priorisieren und den Dialog fördern

Die Umsetzung von Barrierefreiheit durch Fehlerbehebung nach der Produktentwicklung ist auf lange Sicht wenig zielführend. Vielmehr ist es budgetär sowie hinsichtlich einer Corporate Social Responsibility anzuraten, Barrierefreiheit auf unterschiedlichen Ebenen zu verstehen, in den Designprozess mit einzubeziehen und die Effektivität durch regelmäßige Testings sicherzustellen. So kann nicht nur ein Vorteil gegenüber Mitbewerbern geschaffen, sondern die Markenwahrnehmung in der auf barrierefreien Zugang zum Onlineshop angewiesenen Zielgruppe verbessert und durch deren Erschließung Umsatz gesteigert werden.

Bei Usability-Analysen sollte universell gedacht und so auch für blinde und sehbehinderte KonsumentInnen eine User Experience geboten werden, die gleichwertig ist, Spaß macht und so langfristige Kundenbeziehungen schafft. Generell gilt hier die Devise, für Feedback hinsichtlich Optimierungspotenzial empfänglich zu sein, gleichzeitig aber nicht erwartet werden, dass die NutzerInnengruppe ihre Erfahrung auf Eigeninitiative zeitintensiv einbringt. Vielmehr liegt es an den Shop-Anbietern, einen inklusiven Prozess zu garantieren – und so einen oft außer Acht gelassenen Wettbewerbsvorteil für sich zu nutzen.

Victoria Waba

Victoria Waba hat 2020 den berufsbegleitenden Masterlehrgang Digital Marketing an der FH St. Pölten mit Auszeichnung abgeschlossen und war zuletzt im Content Marketing für Employer Branding tätig.

Harald Rametsteiner

FH-Prof. Harald Rametsteiner ist Leiter des berufsbegleitenden Masterlehrgangs Digital Marketing der FH St. Pölten, der Handelsverband fungiert als Kooperationspartner. Mehr dazu HIER.

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