“Digitalisierung ist keine Handlungsoption, sondern ein Muss”

Nicole Prieller ist Geschäftsführerin der Sparte Digital Consulting bei PwC Austria. Mit retail.at hat sie über die Herausforderung Covid-19, die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Pandemie und über den Stand der Digitalisierung in den österreichischen Betrieben gesprochen.

Als Leiterin der Sparte Digital Consulting bei PwC wissen Sie über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise bestens Bescheid. Gibt es für den Handel Wege, dem entgegenzuwirken?
Die Rahmenbedingungen für den Handel haben sich durch Corona ohne Zweifel verschärft. Der Rückstau im Bereich der Digitalisierung ist dabei wesentlich mitverantwortlich für die Dimension des wirtschaftlichen Einbruchs. Wenn 60% der Österreicher während des Lockdowns online einkaufen, einzelne Händler hierzulande jedoch nur ganz geringe Zuwächse bei den Onlineumsätzen melden, dann bedeutet das, dass diese Unternehmen digital nicht konkurrenzfähig sind. Lange Lieferzeiten, fehlende Kundenzentrierung, nicht vollständig abgebildete Digitalprozesse in fast jeder Branche – solche Dinge rächen sich und vertiefen strukturelle Schwächen in einer Zeit, in der plötzlich vieles von online abhängig ist. Aber natürlich ist der skeptische Umgang mit der Digitalisierung nur einer von mehreren Gründen für den Rückgang während der Coronakrise.

Welche Chancen ergeben sich aus der aktuellen Krise generell für die heimische Wirtschaft und insb. für den Handel?
Die Digitalisierung ist keine Handlungsoption, sondern ein Muss. Es stellen sich Fragen der Internationalisierung, der Finanzierbarkeit und der Changebereitschaft im Unternehmen. Projekte müssen ganzheitlich geplant und in den nächsten Jahren vollständig zu Ende geführt werden, denn digital ist eine Lebensform der Menschen, die nicht mehr weggehen wird. Ich würde das Thema daher nicht mehr notwendigerweise als Chance sehen – diese Chance bestand vor 10 Jahren – es geht darum, nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren in einer Zeit, in der Konsumenten verunsichert sind und auf der Ausgabenbremse stehen.

Sie haben es bereits erwähnt, viele Händler setzen jetzt kurzentschlossen auf Onlineshops. Als wie sinnvoll erachten Sie diesen Trend?
Wer einfach so auf einen Onlineshop setzt, wird wohl in der Regel enttäuscht werden. Digitalisierung bedeutet Skalierung oder Spezialisierung. Wer sich spezialisieren kann, hat gute Chancen, mit Digital das Geld zu verdienen, das Digital kostet, ebenso der, der skalieren, also neue Produkte und Services an einen größeren Kundenkreis kommunizieren und liefern kann. Für alle anderen ist ein Webshop vielleicht mal ein guter Einstieg – aber nicht mehr.

Wird sich unser Kaufverhalten ob der Krise ändern?
Kunden begegnen der Machtstellung großer Internetkonzerne zunehmend skeptisch und suchen Alternativen. Wenn diese Alternativen dann allerdings nicht da sind, werden die Kunden fast aktiv dazu eingeladen, erst recht wieder zur internationalen Konkurrenz zu gehen. Darauf zu hoffen, dass ein Kunde aus Liebe zur Regionalität auf schnelle Lieferzeiten und eine gute Customer Experience verzichtet, wäre sicherlich die falsche Strategie.

Begünstigt Covid-19 also den weltgrößten Onlinehändler Amazon?
Selbstverständlich. Amazon hat einen Vorsprung von 21 Jahren, was den Aufbau digitaler Prozesse betrifft – auch deswegen ist die Digitalisierung des Handels in Österreich dringlich.

Vielerorts wird von einer “neuen Normalität” unseres Alltagslebens gesprochen. Wie wird der Handel der Zukunft aussehen?
Es wird sich – was das Kundenverhalten betrifft – nicht mehr viel ändern. Menschen werden online und offline einkaufen, online und offline stöbern und beides nebeneinander leben, so wie sie es jetzt bereits tun. Es wird mehr digitale Angebote geben als heute. Ein Blick in den Buchhandel, dessen Untergang vor 20 Jahren mit dem Start von Amazon vorhergesagt wurde, hilft: die Umsätze im Buchhandel gehen seit 2017 wieder bergauf – allerdings von einem ganz anderen Niveau aus. Es gab einen enormen Transformationsdruck und die Branche musste sich auf das “sowohl als auch”, das der Kunde vorgibt, einstellen. In London erhält man heute ein Buch, das nicht im Laden verfügbar ist, innerhalb einer Stunde nach Hause geliefert. Online und Offline: wer beides vollumfänglich meistert, wird überleben.

Wie unterstützt PwC heimische Betriebe bei der digitalen Transformation?
Digitalisierung ist ein enorm komplexes Thema – es geht nicht um Tools und deren Möglichkeiten, sondern darum, was der Mensch, der Mitarbeiter und Kunde tut oder bereit ist, zu tun, also um Veränderung. Seitens PwC können wir diese Veränderung ausgezeichnet begleiten, denn unsere über 1.000 Experten allein im deutschsprachigen Raum haben in den drei wesentlichen Bereichen der Digitalisierung – Strategie, Kultur und Technologie – viel Wissen angesammelt. Dieses Wissen hilft unseren Kunden, Fallen zu vermeiden, Kosten zu sparen und Digitalisierungsprojekte schneller auf den Boden zu bekommen, unabhängig davon, in welchem Aspekt der digitalen Transformation der gerade größte Bedarf besteht. Unser Herz schlägt dafür, dabei mitzuhelfen, im Web mehr “Made and developed in Austria” zu finden.

Über Nicole Prieller

Nicole Prieller ist Co-Gründerin und Geschäftsführerin des Beratungs- und Digitalisierungsunternehmens point of origin und seit über 20 Jahren in den Bereichen Marketing, Vertrieb, Technologie und Change im B2B und B2C Sektor tätig. Seit Juni 2020 leitet sie gemeinsam mit Andreas Hladky die Sparte Digital Consulting bei PwC Austria. Mehr auf digital.pwc.at

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