Sonja Lauterbach ist selbstständige Unternehmensberaterin und Gründerin der Neuro Leader Academy. Im Zuge der Corona-Krise hat sie die Facebook-Gruppe “EPU Österreich” mit mittlerweile über 6.000 Mitgliedern initiiert. Mit retail.at hat sie über die Herausforderungen in Zeiten der Krise, die Maßnahmen der Regierung, ihr Verhältnis zur WKÖ sowie ihre persönlichen Lösungsvorschläge gesprochen.
Sie sind klassische Einzelunternehmerin. Wie wirkt sich Corona auf Ihren Alltag und Ihr Unternehmen aus?
Es ist eine Katastrophe. Ich habe wie so viele einen Totalausfall. Ich konnte im Herbst/Winter 2019/20 sehr viele Offerten stellen. Über 80% standen vor dem Abschluss, als Corona Thema wurde und es hagelte nur noch Absagen. Das bedeutet, dass die gesamte Geschäftsanbahnung des vergangenen Jahres ruiniert ist. Da meine Kunden jetzt von einer Krisensitzung zur nächsten jagen, kann ich auch nicht akquirieren.
In der Facebook-Gruppe “EPU-Österreich” haben Sie einen offenen Brief an WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf veröffentlicht. Haben Sie schon eine Antwort erhalten?
Ja, er hat mir folgende Antwort per Mail geschrieben:
Sehr geehrte Frau Lauterbach,
ich bedanke mich für Ihr ausführliches Schreiben. Mir ist bewusst, dass die Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen zum Härtefall-Fonds durch die Standardisierung und Automatisierung der Förderabwicklung betriebliche
Sondersituationen unberücksichtigt lassen, wie z.B. das zeitversetzte Hereinreichen von Zahlungen früher erbrachter Leistungen von Einnahmen-/Ausgabenrechnern in die ersten Beobachtungszeiträume oder das Herausfallen von Gründern mit Anlaufverlusten. Die Bundesregierung hat die Wirtschaftskammer als Dienstleister mit der operativen Abwicklung des Härtefall-Fonds beauftragt. Schon in der ersten Phase der Abwicklung haben wir die Sorgen und das Feedback der Unternehmerinnen und Unternehmer der Regierung rückgemeldet und deutliche Verbesserungen erreicht. So können in der Phase 2 des Härtefall-Fonds bereits deutlich mehr Selbstständige eine Unterstützung beantragen. Dennoch gibt es weiteres Verbesserungspotenzial. Wir setzen uns daher auch weiterhin für die praxisnahe Verbesserung der Richtlinien ein und bemühen uns, dass Unternehmerinnen und Unternehmern, die aufgrund der aktuellen Krisensituation unverschuldet in ihrer Existenz gefährdet sind, unterstützt werden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dafür rund um die Uhr im Einsatz.
Mit freundlichen Grüßen
Karlheinz Kopf
Wie haben Sie darauf reagiert?
Lieber Herr Kopf,
es scheint offenbar schwer verständlich zu sein, dass eine reine Ausweitung der Anspruchsgruppen keine “Verbesserung” ist. Es war von Anfang an ein Pfusch, der sich durch die Korrekturen nur vergrößert hat. Die Maßnahmen gehen grundsätzlich in die falsche Richtung. Nicht nur für die “Kleinsten”. Immer mehr “Größere” schließen sich dem Protest und den Forderungen von EPU Österreich an, da sie den gesamtwirtschaftlichen Schaden, der hier angerichtet wird, erkennen. Offensichtlich erkennt den die WKO nicht. Das ist skandalös. Gerne bin ich bereit, mit Ihnen öffentlich darüber zu diskutieren. Meine Kontaktdaten haben Sie.
Liebe Grüße,
Sonja M. Lauterbach
Sie sind eine vehemente Kritikerin des Härtefallfonds. Was müsste geändert werden, damit dieses Instrument den österreichischen EPUs wirklich hilft?
Der Härtefallfonds geht grundsätzlich in die falsche Richtung. Es ist offensichtlich, dass hier das System und nicht die Wirtschaft, Branchen oder Unternehmen geschützt werden sollen. Abgesehen davon haben die Verfasser der Richtlinien offensichtlich das Wesen und die Besonderheiten der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung nicht verstanden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet der steuerliche Gewinn eines Vorjahres von irgendeiner Relevanz sein soll.
Alleinunternehmer sind nicht nur Anbieter und Nachfrager in einer Person, sondern auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die private und wirtschaftliche Sphäre greifen eng ineinander und hängen zu einem großen Teil voneinander ab. Es ist auch ein Unterschied, in welcher Lebensphase ein Solo-Entrepreneur ist. Ich stehe wenige Jahre vor der Pension. Das ist nicht zu vergleichen mit einem jungen, engagierten Gründer, der in der Wirtschaftswelt seine Erfolgsspuren hinterlassen will. Und schon gar nicht mit einem jungen Elternteil, das eine Familie gegründet hat oder sich Wohneigentum angeschafft hat. Ein Teil der selbstständig Erwerbstätigen haben auch Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit. Viele Alleinerziehende beispielsweise; aber auch Mindestpensionisten, die durch ihre Selbstständigkeit ihr Leben finanzieren. Das alles bleibt unberücksichtigt.
Wenn man wirklich helfen will, muss das gerade für die Gruppe der Alleinunternehmer ganz anders aufgezogen werden. Erstens muss es vom Finanzamt abgewickelt werden, da nicht alle WKO-Mitglieder sind. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die WKO über hochsensible Daten verfügt, die im Finanzamt ohnehin vorhanden sind und dort wenigsten eine parlamentarische Kontrolle ausgeübt werden kann.
Zweitens ergibt es keinen Sinn, bei Selbstständigen das Private und das Geschäftliche getrennt zu betrachten. Der HFF soll eine Unterstützung der privaten Lebenshaltungskosten sein. Und daneben türmen sich die betrieblichen Fixkosten Monat für Monat. Es helfen auch Stundungen aller Art nicht. Die verschieben nur die Zahlung, kompensieren jedoch nicht den Umsatzausfall.
Drittens müssen die Branchen strukturell geschützt werden. Selbstständige bilden das Fundament jeder Branche – vor allem in den Regionen. Keine andere Unternehmensform ist derart flexibel und kann sich an veränderte Rahmenbedingungen so schnell anpassen wie Alleinunternehmer. Wenn die jetzt systematisch in die Insolvenz getrieben werden, wird ein Aufbau danach – wann immer das sein wird – kaum möglich. Auch für die Großen nicht.
Mein Vorschlag seit Mitte März 2020 ist, dass sich die Unterstützung am Branchenumsatz orientiert und als Krisen-Grundsicherung monatlich ausbezahlt wird. So könnte man auch den fatalen Domino-Effekt verhindern, der durch eine Insolvenz-Welle ausgelöst wird. Alleinunternehmer vergeben nicht nur viele Aufträge an andere Unternehmen. Wenn die zahlungsunfähig werden, haben all die ein Problem, die mit den unbezahlten Rechnungen übrigbleiben. Beispielsweise die Miete: Wenn die nicht mehr bezahlt wird, hat der Vermieter ein Problem und kann über kurz oder lang seine Rechnungen nicht bezahlen, usw. Abgesehen davon, dass der Gesamtwirtschaft Kaufkraft fehlen wird, wenn Alleinunternehmer ausfallen. Die muss man nämlich zu den Arbeitslosenzahlen dazurechnen. Der Gesamtwirtschaftliche Schaden ist dann nicht mehr bezifferbar.
Wie stehen Sie zur WKÖ-Pflichtmitgliedschaft?
Die WKO hat gute Projekte. Das Modul in Wien (Tourismusschule) ist ein großartiges Beispiel. Hier ist das Geld gut investiert. Doch als EPU wird man zwischen den quasi-monarchistischen Strukturen und der “höher-schneller-
weiter-Idee” zerrieben. Die meisten Kammermitglieder sind EPU und werden weder respektiert, noch wirklich vertreten. Man muss sich nur den Härtefallfonds in Erinnerung rufen. Warum sollte ich also für Arroganz und Nicht-Vertretung bezahlen? Es wäre höchste Zeit, diesen Restposten aus der Kaiserzeit ins 21. Jahrhundert zu bringen und zu einem Service-Point zu machen, der echten Mehrwert bringt.
Wer sind aus Ihrer Sicht die (wirtschaftlichen) Gewinner und Verlierer der Corona-Krise?
Es gibt natürlich einige wenige Branchen, die von der Krise profitieren. Zum Beispiel Produzenten von Schutzmasken oder Desinfektionsmittel. Die meisten verlieren. Und auch hier gehen die angedachten “Hilfsmaßnahmen” weit an der Praxis vorbei. Unabhängig von der Größe verfügt kein Unternehmen über Reserven, die über die üblichen Risiken hinausgehen. Warum auch? Man erkennt, dass die Verantwortlichen keine Ahnung von der Praxis haben. Man muss nur an die Lagerbestände denken. Wenn die beispielsweise von Modetrends abhängen, ist die Ware im Herbst wertlos. Oder all die Branchen, die mit verderblicher Ware handeln. Wie soll man das buchen? Und vor allem:
Wie soll man – wann auch immer – neue Ware bezahlen, wenn die ganzen gestundeten Beträge fällig werden? Kredite helfen bei der Liquidität, kompensieren jedoch keinen Umsatzausfall. Denn auch Kredite muss man zurückzahlen.
Besonders schwierig ist es bei Alleinunternehmer im Dienstleistungsbereich. Die können ihre Produktivität nicht steigern. Ein Masseur kann nicht drei Klienten gleichzeitig behandeln. Auch der EPU-Handel wird Mühe haben. Keiner kauft nach der Krise die fünffache Menge an Schuhen, Kleidung oder Schmuck.
Bietet uns diese die Krise auch eine Chance – etwa hinsichtlich Innovation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit?
Auch wenn es abgedroschen klingt, liegt in jeder Krise eine Chance. Die Frage ist, ob sie genutzt wird. Positiv ist, dass jetzt die meisten erleben, was alles online machbar ist. Von Workshops, über Konferenzen bis hin zu Schulungen und Coachings. Das reduziert in gewissem Maß die Reisekosten und hat eine positive Wirkung auf das Klima. Allerdings lässt sich vieles nicht einfach online abwickeln. Man muss nur an den vorher erwähnten Masseur denken.
Innovationen muss man differenzierter betrachten. Es gibt ja nicht nur technologische Entwicklungen und Erfindungen. Auch neue Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle gehören dazu. Zu den neuen Geschäftsprozessen gehört beispielsweise das gesamte Thema “Online”, genauso wie das Neuaufsetzen der Supply-Chain usw. Hier wird es viele Innovationen geben, die auch nachhaltig sind. Bei neuartigen Geschäftsmodellen schaut es schon wieder anders aus. Viele kreative und innovative Ideen scheitern beispielsweise an so banalen Dingen wie der Gewerbeordnung.
Was würden Sie sich von den politischen Entscheidungsträgern in Zeiten wie diesen wünschen?
Kompetenz und Praxis-Erfahrung.

Foto: Joachim Bergauer
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