Image-Offensive. Das rasante Wachstum des Onlinehandels macht dem stationären Handel zu schaffen. Weltweit suchen große und kleine Retailer nach innovativen Konzepten, das Ladengeschäft attraktiver zu machen – und die Kunden aus dem Haus zu locken.
Das ganze Dilemma zusammengefasst auf weniger als 140 Zeichen: „Musste gerade acht Minuten warten, um drei Produkte im Supermarkt zu bezahlen. Offline-Shoppen ist so blöd, es ist fast schon lustig.“ Der Tweet eines jungen Digital Natives offenbart in aller Deutlichkeit, was den Vertretern des stationären Handels schon länger Sorgen bereitet: Wie lassen sich Kunden überhaupt noch in die Geschäfte locken, wenn das Einkaufen im Internet für viele um einiges mehr an Komfort und Bequemlichkeit bietet? Zumal sich diese Geisteshaltung nicht nur auf die mit dem Internet aufgewachsene Generation beschränkt: Das starke Wachstum des Onlinehandels wird von allen Altersgruppen getragen, aktuell legt das Einkaufen im Internet um über 11 Prozent zu, während der stationäre Handel nur um 1,4 Prozent wächst. Diese Zahlen für Österreich spiegeln einen internationalen Trend wider, der überall auf der Welt die Handelsunternehmen unter Druck setzt – und der sie zu kreativen Problem-lösungsansätzen inspiriert. Die können durchaus skurril anmuten, blickt man weiter über die heimischen Grenzen hinweg. Die französische Warenhauskette Auchan etwa hat einen recht ungewöhnlichen Ansatz gewählt, um ihre ins Internet abgewanderte Kundschaft wiederzugewinnen: Im Vorjahr eröffnete das Unternehmen unter der Marke „Auchan Minute“ 750 umfunktionierte Schiffscontainer, die als Minisupermärkte dem chinesischen Publikum den schnellen, unkomplizierten Einkauf vor Ort schmackhaft machen sollten. Das Ganze sieht aus wie ein überdimensionaler Snack- Automat, in den man sich hineinbegeben und die Produkte des täglichen Bedarfs erstehen kann. Bezahlt wird elektronisch, Verkaufspersonal gibt es keines in dem Container.

Der Testmarkt China lief 2018 so erfolgreich, dass Auchan sein Konzept nun auch in Europa umsetzen möchte. Im nordfranzösischen Villeneuve d’Asq eröffnete im März der vollautomatische Laden, den zunächst nur So rettet man das Ladengeschäft Vielfältige neue Wege im Offline-Shopping: Service-Turbo bei Bonobos, Wohlfühlambiente bei Ikea, Container-Läden „Alpha” und „Psi“ von Moby, Minisupermärkte „Auchan Minute“ (im Uhrzeigersinn v. l.) Mitarbeiter des mit 860 Supermärkten in 15 Ländern aktiven Konzerns nutzen dürfen. Die Testphase des völlig mitarbeiterfreien Geschäfts dauert noch an. Daten bis ins Detail.
Einen völlig anderen Weg, nämlich mehr Service und Beratung statt weniger, geht dagegen die Modekette Bonobos aus New York. Dort sieht man die Zukunft des Retailhandels in der größtmöglichen Personalisierung. Passgenaue Herrenbekleidung verbunden mit großen Anstrengungen im Kundenservice lautet das Erfolgsrezept von Dominique Essig, die als Chief Experience Officer für die Konzeptionalisierung der Bonobos-Stores zuständig ist. „Unsere gesamte Vorgehensweise orientiert sich immer an den Kunden. Kunden erwarten, dass man noch besser versteht, wer sie sind. Sie möchten, dass man bessere Erlebnisse für sie kreiert“, sagt die E-Commerce- Expertin, die zunächst für das Online-Reisebüro Travelocity tätig war, bevor sie in die Modebranche wechselte. Dort brachte sie Erfahrungen ein, die schon dem Onlinehandel große Vorteile verschafften – vor allem in Sachen Datenauswertung. In ihrem Team beschäftigt sie Ingenieure und Datenforscher, die das Kundenverhalten online und offline bis ins letzte Detail analysieren. Angefangen von der Zeit, die Kunden im Laden verbringen, bis hin zur Einkaufshistorie hat Bonobos ein genaues Bild der Kunden. „Wir möchten unseren Kunden das Gefühl geben, dass wir sie kennen, dass wir ihre Zeit zu schätzen wissen und dass unser Anliegen allein darin besteht, ihnen ein angenehmes Erlebnis zu verschaffen“, sagt Essig. Für das Erlebnis hauptverantwortlich sind sogenannte „Guides“, die Kunden durch das Geschäft begleiten und bei der Auswahl, dem Maßnehmen, der Anprobe und schließlich der Bezahlung nicht von der Seite weichen. Die klassische Kasse gibt es auch bei Bonobos nicht, man nutzt stattdessen das Service des niederländischen Zahlungsdienstleisters Adyen. Bargeldlos ist die Zukunft des Handels, zumindest bei Bonobos.

Weg vom Auto-Ausflugsziel
Bei Ikea hingegen liegt die Zukunft in der Kundennähe – ganz buchstäblich. Mit einem völlig neuen Shopkonzept am Wiener Westbahnhof will der Möbelausstatter neuen gesellschaftlichen Entwicklungen bestmöglich entgegenkommen, im konkreten Fall dem veränderten Mobilitätsverhalten. „Bislang sind wir davon ausgegangen, dass der Kunde zu uns kommt, dass der Ikea- Markt ein Ausflugsziel ist, für das sich die Menschen ins Auto setzen und Zeit nehmen. Jetzt sehen wir, dass vor allem Menschen in der Stadt weniger mit dem Auto einkaufen wollen“, sagt Stephan Schneider. Als Projektmanager ist er für den Westbahnhof-Ikea zuständig, schon seit 25 Jahren ist er für das Unternehmen tätig. Zuerst als Innenausstatter für den Ladenbau, zehn Jahre lang treibt er nun in Österreich die Expansion der Märkte voran. Das Projekt am Westbahnhof ist auch für ihn Neuland: „Das neue Geschäft wird völlig anders aussehen, als wir es bisher gewohnt waren“, sagt Schneider. Das fängt schon bei der Wegführung an, den klassischen Pfad, der durch alle Abteilungen führt, wird es nicht mehr geben. Kunden werden nur noch wenige Minuten im Geschäft verbringen, man setzt auf die Laufkundschaft am Verkehrsdrehkreuz. Der Shop wird also auf kurze Wege ausgerichtet sein, alle Bereiche sind leicht und schnell erreichbar. Geschwindigkeit wird auch beim Sortimentswechsel eine Rolle spielen: „Wir wollen die Kunden motivieren, möglichst oft zu uns zu kommen. Deshalb wird sich das Angebot viel öfter und schneller ändern, als man das von den herkömmlichen Geschäften kennt“, sagt Schneider. Dass sich Ikea trotz wachsendem Onlinegeschäft weiterhin so für den Retailhandel ins Zeug legt, erklärt der Deutsche mit einer Strategie des Miteinanders von Internet und Ladenraum. „Unsere Standorte sind nach wie vor unverzichtbar als Treffpunkt für die Kunden. Sie können sich dort austauschen, treffen auf die Marke, das Sortiment, trinken vielleicht auch einen Kaffee und kaufen nicht immer etwas.
Die Hauptsache ist, dass sie sich wohlfühlen.“ Im intimen Baumarkt Auf den Wohlfühlfaktor setzt auch ein Handelsunternehmen, von dem man es aufgrund seiner Branchenzugehörigkeit zunächst nicht erwarten würde: Die britische Baumarktkette B&Q. Dass zwischen Schlagbohrern und Betonsackerln auch Platz für ein intimeres Einkaufserlebnis sein kann, beweist B&Q seit April mit dem Conceptstore „Good Home“, der in der Londoner Vorstadt Wallington testweise aufgesperrt hat. Der Versuchsballon unterscheidet sich grundsätzlich von seinen großen Brüdern – mit bescheidenen 150 Quadratmetern Verkaufsfläche kommt „Good Home“ gerade einmal auf den Bruchteil der Größe eines ausgewachsenen B&Q (bis zu 9.000 Quadratmeter), auch beim Sortiment setzt man auf klein, aber fein: Statt 40.000 Produkten werden im Mini-Markt nur 6.000 angeboten. Trotzdem müssen die Kunden nicht auf die volle Produktpalette verzichten, was nicht lagernd ist, kann über große Touchscreens im Geschäft geordert werden und soll schon in Minuten abholbereit an der Kassa liegen. Gleich wie Ikea versucht B&Q mit seinen kleineren Geschäften näher an die Innenstädte zu gelangen, zum autolosen Publikum, das sich über jedes Paket vor der Haustüre freut.
Fazit: Wer im stationären Handel kreativ – und vor allem nah an den Kundenwünschen – agiert, muss die manchmal übermächtig scheinende Onlinekonkurrenz nicht fürchten.
▪ Josef Puschitz